Warum soll ich mich als „queer, binär, weiss und cis“ bezeichnen? – Aber ich bin doch schwul und will das immer bleiben!*
Ich soll auch vor einer Diskussion mein „Pronomen“ angeben. Bevor ich meinen Mund auftue soll ich mich gegen alle Seiten „definieren“ und erklären: Als „antifaschistisch, antirassistisch und queerfeministisch“…
Ich gestehe jeder Person zu, sich selber zu „definieren“ und ihr „Pronomen zu wählen“. Also fordere ich alle Anderen auf, auch meine langjährige Schmalspurbezeichnung „schwul“ zu akzeptieren. Mit dem Wort queer habe ich mich auseinandergesetzt, es wird aufgefüllt mit Begriffen und Diversitäten wie früher die Wörter „Sodomie oder Ketzerei“. Gemäss W. Müller in der Siegessäule vom Oktober 2020 ist das Wort SCHWUL 1847 erstmals dokumentiert. Es bedeutete „Gauner mit einer Vorliebe für gewisse Unsittlichkeiten“. Passt doch!
Ein „Queerfeminismus“ grenzt sich neustens ab und geht eigene gedankliche Wege. Da bin ich nicht mehr enthalten. Soll ich nun einen „Queerschwulismus“ entwickeln? Es gibt bis heute noch unerforschte Gründe, warum die Frauenbewegung nie mit der Schwulenbewegung diskutiert hat.(1)
Ich lehne Faschismus begründet ab und konnte mit den „alten Griechen“, auf die jeweils Bezug genommen wurde, nie etwas anfangen. Die älteste Geschichte der Männerliebe verliert sich in heterosexuellen (binären) hierarchischen Zusammenhängen. Aber es gibt auch Männer und Schwule, die ihre Sexualität und ihre Emotionen im hierarchischen Muster leben und das sogar fetischisieren. Ob das k/einen Einfluss auf deren politische Einstellung hat, ist auch noch unerforscht.
Rassismus beginnt dort, wo Haut- und Haarfarben und „anderes Fremdes“ problematisiert und mit diesem Wort bezeichnet werden. Dies findet auch ausserhalb von „Weiss-Sein“ und innerhalb von Intersektionalität (2) statt. Sogar innerhalb von Gruppen und dazwischen gegenseitig! Sexualneid/Sexismus ist da oft zu finden – wie gegenüber Schwulen! Es sind keine Einbahnstrassen.
Wir sollten vorsichtig mit neuen Bezeichnungen und Begriffen sein (3) und wir sollten den alten historisch gedenken und sie nicht tot schweigen! („Eine Person zu einem Neger machen“, was bis heute überall vor kommt.) Schwule sollten auch dafür sorgen, dass ihre Selbstbezeichnung nicht die Bedeutung ändert. („sowas ist ja voll schwul“!)
LGBTIQ* Diese Anhäufung von Buchstaben erinnert mich an die Zeiten vor über hundert Jahren, als fremde Leute „vermessen“ (4) wurden und ihre Schädel und ihre Körper mit Zahlen beschrieben. KeineR hatte sie gefragt, wie sie sich fühlten. So, wie Sexisten auch nicht fragen, sondern einfach „mal zugreifen“…
Nicht nur Sexualität, Liebe und Arbeit verändern sich ständig und schneller. Auch Orientierungen, Identitäten, Fetische und Geschlechtsteile werden unterschiedlich benützt und eingesetzt. Nach dem Motto, ich betätige heute das, was ich gerade brauche – und morgen ist alles wieder anders… (Thommen, 2014)
Peter Thommen_70, Schwulenaktivist Basel
* Titel eines Buches von Michael Bochow über schwule Männer im dritten Lebensalter, Ed. Waldschlösschen, MSK-Verlag 2005, 370 S.
1) Beate Schappach beschreibt in einem Text, dass sich die neue Bewegung der gleichgeschlechtlich Liebenden bald in frauenliebende und männerliebende Gruppen und Diskussionen geteilt hat. („An Hand einzelner Gruppierungen wie der Homosexuellen Aktion Westberlin, die als Schwulen- und Lesbenorganisation gegründet worden war, sich jedoch schnell in die HAW und das LAZ (LesbenAktionsZentrum) aufsplittete, der Frauen-organisation Brot und Rosen und der Roten Zelle Schwul (ROTZSCHWUL) soll der Aushandlungsprozess innerhalb der Gruppierungen sowie das Verhandeln von Gruppenidentität und -inszenierung nach innen und außen nachgezeichnet werden.)
2) Bei „Wokeness“ geht es um Achtsamkeit gegenüber sozialer Ungerechtigkeit, dabei gilt: ‚je mehr Privilegien, desto weniger Recht mitzureden; je weniger Privilegien, desto mehr Recht.‘ Die Wokeness für Fortgeschrittene, die Intersektionalitäts-Theorie, ist noch etwas weniger lang diskursprägend. Sie handelt von Mehrfachdiskriminierung, transsexuelle Frauen aus dem Sudan und so. Ihretwegen wird es nun auch für weisse, heterosexuelle Frauen enger: Denn nur wer genug Opferpunkte sammelt, bleibt im Spiel. Dass man da nehmen muss, was man kann, braucht man einem weissen heterosexuellen Mann nicht zu sagen. (Christoph Zürcher im NZZaS-Magazin Nr. 42 /Okt.20)
3) „Statt um soziale Ungleichheit, Armutslöhne und niedrige Renten drehen sich linke Dabatten heute oft um Sprachsensibilitäten, Gendersternchen und Lifestyle-Fragen.“ (Sarah Wagenknecht im Interview mit der SoZ vom 25.10.2020, S. 14)
4) Das Wort hat auch noch eine andere Bedeutung (wie z.B. Schwindel): „sich zu sehr auf die eigenen Kräfte oder auf das Glück verlassend“
Siehe auch meinen Beitrag über Edmund White’s Roman „A Boys own Story“ von 2017