Erzwungene Heterosexualität Essay von Peter Thommen_61
Viele „Normalen“ und Frauen können nicht verstehen, dass Männer (oder auch Frauen*) jahrzehntelang in heterosexuellen Partnerschaften, Familien oder Beziehungsnetzen leben können, um dann irgendwann „plötzlich“ all dies aufzugeben oder abzuschütteln.
Nun muss der „Einbruch der Homosexualität“ in das Leben eines Mannes nicht unbedingt gerade alles auf den Kopf stellen. Die Umstände erfordern dies aber oft – vor allem der Druck von Angehörigen. Homosexualität kann eine Lebens-Orientierung sein, muss es aber nicht. Drum kann sie auch „in heterosexuellen Verhältnissen schlummern“.
Wie kann sich denn „so ein Schwuler“ so gut verstecken? Das sollten sich die Mütter, die Freundinnen und Ehefrauen fragen, die ja immer alles „richtig gewusst“ haben wollen. Wo haben sie hingeschaut? Dieses Wegschauen und Hinwegsehen der Umgebung machen sich „homosexuell“ Betroffene oft zu eigen und werden in der Folge „blind“ gegenüber sich selbst.
Leider müssen die „Betroffenen“ meistens die Verantwortung alleine tragen und auch für das „Unglück, das sie über die Anderen bringen“. Das mag bei vielen Männern noch Grund sein, um sich so lange zu verstecken.
Es ist den meisten Leuten unbekannt, was die Homosexualität im Leben eines Mannes für eine Rolle spielt. Sie existiert offiziell gar nicht. Nur als Minderheit von ein paar Prozenten…
Doch was für Frauen selbstverständlich ist an „Frauenkultur, frauliche Nähe, Vertrautheit und Wärme, Körperlichkeit“, das wird Männern einfach vorenthalten. Sie sollen vom eigenen Geschlecht entfremdet werden, und sich umso mehr auf das andere Geschlecht einstellen. Denn das ist ja „normal“.
Frauen wachsen ganz normal mit ihren Müttern in einer körperlich-intimen Beziehung auf. Doch die Angst vor Homosexualität führt bald einmal zur Zurückweisung. Das Mädchen soll sich auf Männer ausrichten. Der Pakt mit der Tochter wird der Heterosexualität „geopfert“. So hangen dann die Töchter oft am Halse ihrer Väter, während die Mütter sich die Söhne zur Brust nehmen. Durch die Machtverhältnisse in der Familie und gegenüber den Kindern, sind dann auch sexuelle Übergriffe, körperliche Nähe ohne Grenzen – und Gewalt bald einmal selbstverständlich – und werden selten hinterfragt. Auch nicht von Müttern.
Männer werden systematisch „an den Frauenkörper gewöhnt“ und entbehren einer Identitätsmöglichkeit mit dem Vater oder anderen Männern. Suchen sie sich „fremde Männer“, droht Abschreckung vor „Pädophilen“.
Gleichgeschlechtlichkeit – auch ohne genitale Sexualität – ist ein Akt der Identität mit dem eigenen Geschlecht – auf individueller und kollektiver Basis. Männer sind in der Regel nur über die Schule, den Beruf, den Sport und vor allem die Konkurrenz untereinander „identisch“. In der Konkurrenz um Frauen. Männer müssen sich selber immer über Frauen definieren. Erst die Mutter, dann eine Freundin, endlich die Ehefrau.
Generell lernen Jungs und Männer nicht, sich auf respektvoller Distanz zu Frauen zu halten. Bei der Mutter erst gar nicht – und diese sucht meistens selber die Nähe des Sohnes. Das setzt sich fort bei Freundinnen, und mit der Ehe wird schliesslich die ehemals familiäre Identität/Vertraulichkeit mit einer Frau schnell wieder hergestellt.
Da wundern sich Frauen dann über „Grenzüberschreitungen“ und die Gewalt (als Gegenwehr) von Männern gegenüber Frauen!
Es gibt vereinzelt auch Frauen, die bewusst „verhindern wollen“, dass ihre Söhne „homosexuell werden“. In einem Beispiel aus dem Internet liess die Mutter einfach ihre Intimwäsche herumliegen. Für sehr viele Frauen ist „die schwule Lust per se eine anale Vergewaltigung“ und somit ein Missbrauch. Vielleicht haben sie selbst den Analverkehr in dieser Art und Weise erlebt.
Aber ein gewaltloser Analverkehr ist bei Männern an die Prostata geknüpft, also an ihr Lustorgan für die Erektion. Und an die Fähigkeit, ihren Schliessmuskel zu entspannen. Aber diese Verbindung müssen die meisten erst mühsam suchen – wenn sie sich denn nicht einfach überrumpeln lassen, um die körperliche Abwehr zu durchbrechen. Bei vielen ist die Angst, selber penetriert zu werden, viel zu gross. Aber unabhängig von einem Alters-„Machtgefälle“ können Jungs und Männer auch in gegenseitigem Respekt und gewaltlos sich gegenseitig penetrieren. Auch Jungs mit Älteren. Diese „missbilligten“ Machtverhältnisse werden aber meist von den Informationen, Erfahrungen und Vorgaben aus der Heterosexualität diktiert. Sie müssen es aber nicht.
Jungs erleben die körperliche Nähe untereinander (ohne Einbezug der Genitalien) bis zu einem gewissen Alter als attraktiv, „geil“ und identitätsstiftend. Aber sobald die dominierende heterosexuelle Orientierung (für Gefühle und Sex) die Beziehung mitbestimmt, werden sie abrupt zurückgewiesen: „Fass mich nicht an, du schwule Sau!“ Das ist der Anfang von der Entfremdung vom eigenen Geschlecht.
Gesteuert wird alles von „nicht Ausgesprochenem“, „Verschwiegenem“, von heimlichen oder bestimmenden Blicken der Mütter und auch Väter. Jungs und Männer „gehen ins heterosexuelle Exil“. Vor allem für bisexuell Empfindsame bringt das grosse Probleme mit sich. Der Zwang zur „Entscheidung fürs Leben“ hat schwerwiegende Folgen.
Ich weiss heute – dank des Internets – dass sich Männer vermehrt auch „hintenherum virtuell“ ihrem eigenen Geschlecht wieder annähern. „Ich habe eine Familie und bin auf strengste Diskretion angewiesen – „Ich habe eine Freundin und das soll sich auch nicht ändern!“ Die Homosexualität, die unter solchen Umständen gelebt wird, ist nicht die gleichwertige Sexualität, die in der Heterosexualität gelebt wird. Und das möchten Viele nicht ändern, damit das vorherrschende und vorfrauschende Familienbild, das sie selber zu pflegen gelernt haben, nicht zerstört wird. Das Internet ermöglicht die „sexuelle Parallelgesellschaft“ wie es seit Jahrhunderten mit dem Rotlichtmilieu und der bürgerlichen Familie funktioniert. Diese Familie, die in den Zeiten idealisiert worden ist, in welchen die Menschen höchstens 50 oder gar 60 Jahre alt geworden sind!
Ich will immer mehr darauf hinweisen, dass Mütter und Frauen vermehrt in die sexuelle Verantwortung von Familie und Kindern einbezogen werden müssen. Nicht mehr nur stillschweigend, sondern kommunikativ und offen. Nicht das Kind schuldet der Familie ein „coming out“, sondern die Familie muss den Kindern zu ihrer Identität mit dem eigenen Geschlecht im Allgemeinen und zu einem wie auch immer gearteten sexuellen coming out verhelfen. Mit der Dämonisierung von Männern, oder der Warnung vor bösen Menschen ausserhalb der Familie ist es nun mal nicht getan! Schon gar nicht in Zeiten mit AIDS. Und auch nicht mit der Zensur im Internet. Peter Thommen_63
* Ich beschränke mich hier auf Männer