Tunten im Wandel…

In den 80er Jahren bin ich mit meinem damaligen Freund nach Spanien in die Ferien gefahren. Ich stellte fest, dass es da mehr Schwule gibt, die sich weiblich geben oder in Frauenkleidern rum laufen. Dabei fällt mir ein, dass es schon in den 70ern den sogenannten „Tuntenstreit“ gegeben hat.

Michi Rüegg* schrieb von den Zeiten, in denen Schwule die Tuntigkeit zu einem „Markenzeichen“ gemacht hatten. „Nun wissen Schwule instinktiv, dass sie Kämpfe nicht mit Fäusten gewinnen können, sondern mit Schlauheit. Der Schwule ist kein Wolf, er ist ein Fuchs.“

Es gibt aber auch Ausnahmen! „Man war tuntig und fand den Rest der Schar erfrischend.“ Bis heute wird uns erzählt, dass in jedem Mann etwas schlummere, das nach Freiheit drängt.

Wir müssen verstehen, dass Männer kulturell grundsätzlich lernen, „ihren Sex bei Frauen zu holen“! Ich denke, in Wahrheit ist es umgekehrt: Sie bringen ihren Sex zu den Frauen… 😉 Kürzlich schrieb einer in der nzz über Pornografie und merkte an, dass Männer durch diesen Konsum „ganz bei sich“ seien! Wie erhellend: Es geht dann um ihre eigene Sexualität und nicht darum, es einer zu besorgen!;)

Nun, eine Tunte war damals ‚ein Ereignis‘, das dem Heteromann im Spiegel zeigte, was er so hasste, nämlich die Frau im Mann. (Hassen ist eine Technik, ein ‚ungelöstes‘ Problem zu ‚bewirtschaften‘.) Später war die ‚Politik der gebrochenen Handgelenke‘ nicht mehr so aufrührerisch – aber sie bleibt bis heute eine Provokation.

Die Tunte ist aber auch eine Jahrhunderte alte Erscheinung, die jenseits politischer Vorstellungen ihre Existenz beansprucht! Aus ihr entstand die Figur des „dritten Geschlechts“. Ich erinnere an Quentin Crisp (1908-1999). In Kulturen in welchen Frauen nicht öffentlich auftreten durften mussten schon in frühen Zeiten Männer deren Rollen spielen.

Die ‚leibhaftige Tunte‘ kam als Bild in den 80er Jahren auch bei einigen Lesben in Basel nicht gut an. Sie verurteilten das Plakat der Homosexuellen Liste Basel von 1991 mit der Fotografie vom mageren Norbert Salcher (1956-2010) mit dickem Bauch in symbolischer „Erwartung“ (und hinter ihm sein Freund in anonymer Rückenansicht). Motto: „Wir werden das Kind schon schaukeln.“ (Wir machten 367 Stimmen)

Die Neunziger schwenkten um auf Männlichkeit in der Öffentlichkeit. Gewisse Schwule trugen Schnauz, Bart und Lederjacken. Auch AIDS trug zur Maskulinisierung bei: Schwul wollte gesund und kräftig aussehen, als Gegenbild zur Krankheit. Fitnessstudios sind bis heute beliebt. Gut, die krassen Formen sind in den „Fetischgruppen“ erhalten geblieben.

Kulturell ist es seit biblischen Zeiten so, dass Männerliebende zum Gegenbild der Frau greifen mussten, um einen MANN auf sich aufmerksam zu machen. (sh. NY Vogueing-Szene!) Wir unterlaufen also die heterosexuelle Hegemonie mittels Strategien aus der hetero!/a Kultur. Einige nehmen dieses Bild in hetero Köpfen an, um sich der Kultur zu beugen…

Michi Rüegg meinte, es wäre Zeit, sich von Tuntenhaftigkeit zu verabschieden. „Schliesslich wollten wir nicht als unmännlich gelten. Denn das könnte uns einen Sex kosten.“ *

Nun, in den heutigen Zeiten von „Nonbinarität“, Geschlechtsanpassungen und „Love is Love“ werden in Debatten Eindeutigkeiten verwischt. Ein neuer Versuch, sich irgendwie anzupassen – mit der Illusion, das hetero/a Diktat ‚zu unterlaufen‘. Kim de l’Horizon hat das literarisch auf die Spitze getrieben mit seinen Texten über Blutbuche und Grandmère. Ich wundere mich nicht über das Gefeiere in der heterosexuellen Literaturszene. Virginia Woolf ist mit ihrem Roman „Orlando“ schon 1928 auf solche Ideen gekommen.)

Die Schwulenbewegung hat sich der Figur für gesellschaftlichen Protest bedient. Die queer Bewegten eignen sich offenbar Figuren an, um „darin zu verschwinden“. Meine Lebenserfahrung hat mir ermöglicht, auch in binären Bezügen ein „Mann mit Variation“ zu werden und zu sein. Und das in vollständiger und befriedigender Übereinstimmung mit meinem „Fleisch“. Und bevor nun die „woken“ Queers aufschreien: Ja und diese Variation wird es auch weiterhin geben, auch wenn sie nicht mehr „allein den Ton angeben“ kann. Zumindest den gesellschaftlichen Diskurs können schwule Männer immer noch mitbestimmen – sie müssen sich einfach melden!

Peter Thommen_73, Schwulenaktivist Basel

* Cruiser vom September 2020, S. 13 über „toxische Tuntigkeit“.

Ist Homosexualität ein Nebenwiderspruch? in Thommens Senf vom 1. Feb. 2008

Über admin

*1950, Buchhändler, Schwulenaktivist, ARCADOS Archiv für schwule Studien
Dieser Beitrag wurde unter allgemein abgelegt und mit , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.