Die Presse für den homosexuell aktiven Mann trampelt sich auf den Füssen herum.

Die (deutsch-) schweizer Magazine für Schwule trampeln sich immer mehr auf den Füssen herum. Die Einen haben Szene-Werbung und die Anderen holen sich das Geld bei heterosexuellen Firmen (wie Nivea) – oder mixen beides zusammen. Doch warum sind sie gratis?

Das liegt zum Einen in der Tradition der Diskriminierung. Homosexuelle wollen und wollten schon immer „diskret“ und anonym bleiben. So abonnierten sie höchstens das Gedruckte jeweils in neutralem Umschlagversand. Früher war der Kauf an Kiosken von „sowas“ schlicht unmöglich und in den 70er Jahren erklärten mir die grössten Kioskfirmen der Schweiz auf Anfrage, dass für „so was“ keine Nachfrage existiere. Das änderte sich dann mit dem Import der auflebenden Homo-Blätter aus Deutschland. In den beiden letzten Jahrzehnten des vergangenen Jahrhunderts wurden die schweizer Magazine dann mit Verkaufspreisen versehen und doch noch in die Kioske gebracht. (hey, Kontakt, anderschume)

Doch der grössere Teil der Auflage wurde immer gratis verteilt – im „Milieu“ – oder gegen Gebühr an Mitglieder verschickt. Kein Barman hätte Zeit gehabt, auch noch Magazine zu verkaufen.

Der Kontakt war das verbreiteste Magazin der neueren Zeit in unserem Land. Neben dem Du&ich und anderen Importierten. Das Magazin heisst heute „display“ und übernahm kürzlich quasi das finanziell darbende AK, das in der Schwulenbewegung mal als „anderschume“ lanciert worden war. Anderschume wiederum hatte seinerzeit das Kontiki, das von einem ex-SOH-Mitglied (Janul G.) als Konkurrenz von hey (SOH) und Kontakt auf den Markt gekommen war, übernommen.

Neben den traditionellen Gruppen-Blättchen wie „Schildchröttli“, Osservatore Homano (BL) HaZ-info, etc. gab es einige Versuche – auch von mir – regelmässige Informationen zu etablieren.

Der Cruiser aus Zürich, der es heute noch „wagt“, unter den Titel zu schreiben „dieses Magazin ist schwul“, hat als einziger von diesen überlebt. Es gab mal den Versuch, das Basler „come out“ mit ihm zu vereinen. Das erwies sich aber in der inhaltlichen Zusammenarbeit als unmöglich! 😉

Fortan erschien der Cruiser in Zürich und der Thommens Senf/Pinktube in Basel. Letzterer über Jahre sogar wöchentlich…

Nun erschien vor einem Vierteljahr ein neues Magazin in Bern. „Mannschaft“ sein Name und so wenig „einschlägig-ausgrenzend“  😉  wie möglich. Junge Kommunikatoren, Grafiker und Fotografen nützen ihre Kontakte, um für ihre Arbeit grad auch Werbung zu machen.

Im arcadosbuchladen-info vom Oktober schrieb ich: „Mannschaft – ein Magazin ohne Vergangenheit – einfach „der neuen Generation – vielleicht einem Laptop entstiegen.“

„Für die Jungen mag es sehr wichtig sein, sich abgebildet zu sehen, seine Welt auch gedruckt zu erleben, die doch so schnelle Bilder produziert im Internet und auf DVD. Auch findet der Jung-Homo die ersehnte Bestätigung, dass seine Wünsche und seine Schwüre nicht umsonst seien, weil es gibt auch andere Junge, die „so denken“ – farbig auf Papier…“ (S. 1)

Und auch dieses Magazin erhält mann gratis und sogar diskret zugesandt. Ob wohl heute mehr Homos es wagen, „sowas“ zu abonnieren?

Im neuen „display“ vom November kam mir folgender Text unter die Augen: „Der Aufbau des neuen Magazins ist sehr stark an das bereits bestehende display angelehnt, teilweise sogar abgekupfert. Inhaltlich bringt Mannschaft nichts neues… Es macht keinen Sinn, im kleinen Wirtschaftsraum der Deutschschweiz ein zweites schwules Magazin aufzulegen.“

Die Leserzuschrift ist gut sichtbar platziert! (S. 7)  😉

Tja, wenn sich die Magazine alle um die „neuschwulen“ bürgerlichen Politiker raufen, nette Stories über ältere „verheiratete“ Männer und über schwule TV-Ikonen, oder landesweite Schönlinge bringen, nebst Produktinformationen und Reise- und Skiweekend-Tipps, wird das wohl im Sinne junger Leser sein!

Aus irgendwelchen Gründen sind übrigens die Kontaktanzeigen aus den Gratis-Magazinen verschwunden. Es gab wohl zu viel Arbeit und die Dienstleistung wurde zu teuer. Aber nicht jeder Mann, der Kontakte sucht, hat einen eigenen Computer zur Hand, vor allem wenn er schon älter ist, oder eine Freundin oder Ehefrau hat…

Als Abkömmling der Schwulenbewegung und steter Kritiker frage ich mich heute – angesichts des schön bedruckten Papiers und der teuren Konsumwelt – wie lange das noch geht in wirtschaftlich schlechten Zeiten. All das Geschaute, Konsumierte, die fantasierten Träume im Internet – wie voll sind wohl die „Festplatten“ im Kopf geworden? Es wäre an der Zeit, dass Jung-Homos ihr Hirn zwischendurch mal „defragmentierten“, um Platz für ihre kommenden Lebensjahr(zehnt)e zu machen.

HIV-Infektionen und AIDS-Therapien steigen kontinuierlich an, statt zu sinken, wie insgeheim immer wieder kolportiert wurde. HIV wird wohl nicht die letzte problematische sexuelle Infektion, die auch uns trifft, sein. Aber alle glauben das unausgesprochen. Aber welches Medium übernimmt eine verantwortungsvolle Kommunikation über das Sexualverhalten?

Nach den begeisterten Verpartnerungen kommen jetzt die Scheidungen und rechtlichen Auseinandersetzungen. Das Hängen an eingegangenen Verpflichtungen – wie bei den Heteros!

Aber welches Medium übernimmt eine informative Kommunikation darüber?

Die Prostitution breitet sich immer mehr aus unter den Männern, die mit Männern Sex haben wollen. Vom harmlosen Taschengeld, über die wunschgerechte Massage, bis zur teuren Nachtbuchung. Das Strichermekka in Zürich mag manche Bedürfnisse befriedigen – aber führt es auch zur Zufriedenheit bei Schwulen und Männern in einem stark schwindenden „Milieu“?

Es stimmt nachdenklich, wenn ich – der ich in verschiedenen Kontaktplattformen präsent bin – von braven Usern aus dem Purplemoon dann im berüchtigten Gayromeo geblockt werde, damit ich nicht mitbekommen soll, dass das verliebte Paar dort die sexuelle Abwechslung sucht…

Die (hetero)sexuelle Doppelmoral breitet sich aus in der „homosexuellen Welt“. Heterosexuelle Lebensweise und Moral produzieren auch „heterosexuelle Probleme“. Die will ich aber jetzt nicht alle aufzählen. Ich will nur daran erinnern, dass die reale Welt der Homosexualität auch aus Problemen und Lernprozessen besteht, die nicht nur viele Jung-Homos als „Belehrung“ von sich weisen und die nicht Eingang finden in die wichtigen Kommunikationskanäle der Betroffenen. Neben der geglätteten Schönheit und den Crèmes und Wohnungseinrichtungen sollte doch noch Platz sein für ein Viele betreffendes Problem, das nicht nur unter „Beratung“ abgehandelt wird.

Aber da ist wohl seit einiger Zeit „der Faden gerissen“. Der Regenbogen ist zwar unser Symbol geworden – der rosa Winkel wurde abgehängt. Wir sind nun endlich bei einer richtig heterosexuellen Homo-Regenbogenpresse gelandet. Was für eine Errungenschaft!?

Peter Thommen60, Schwulenaktivist, Basel

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*1950, Buchhändler, Schwulenaktivist, ARCADOS Archiv für schwule Studien
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Eine Antwort zu Die Presse für den homosexuell aktiven Mann trampelt sich auf den Füssen herum.

  1. Ulli sagt:

    „Die (hetero)sexuelle Doppelmoral breitet sich aus in der „homosexuellen Welt“. Heterosexuelle Lebensweise und Moral produzieren auch „heterosexuelle Probleme“.“
    diesen sätzen kann ich zustimmen … auch wenn ich mir nicht sicher bin, ob es diese polarität von homo- und heterosexueller lebensweise gibt. für mich lag (und liegt) im schwulsein (unter anderem) die chance, auch „anderes“, andere lebensweisen auszuprobierne, sei es im zusammenleben, in beziehungsweisen … diese freiheit, die ich im schwulsein immer empfunden habe, scheint heute nicht mehr sehr gefragt zu sein – oder nicht mehr erkannt zu werden. Ulli

    Die Polarität ist ein Fakt, den die heterosexuelle Kultur geschaffen hat, darum muss er immer wieder erwähnt werden, weil diese ihn zu verwischen strebt, um ihr System zu verschleiern.
    Letztlich kommt die Homosexualität aus der Heterosexualität heraus, wurde im Schwulsein (als Parallelität) kultiviert und verschwindet nun wieder in dieser, weil sie ja allen Männern zur Verfügung steht. > > Genderdiskussionen lösen die neuen Möglichkeiten des Schwulseins in einer unbestimmten Vielfalt auf. Indem die dominierende Polarität (Hetero) in einer „Ursuppe“ zu schwimmen beginnt, verliert das junge Schwulsein wieder an Bedeutung, was ich als Akt der Bewältigung verstehe. So entzieht sich die vorherr- und -frauschende Sexualität der Auseinandersetzung und eigenen Relativierung. > Die Natürlichkeit schwimmt in dem, was sie an Unnatürlichkeit wieder „diskutierend dekonstruiert“ hat. Es besteht keine Konkurrenz mehr! 😉
    P. Th.

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