Ist die gay svp nur ein Pfahl im mütterlichen Fleisch, oder kann sie bei den sieben Vätern auch missionieren? (= eindringen)
Die vierzig wackeren Gründungsmitglieder sind davon wohl ebenso überzeugt wie die Gründer der „Homosexuellen Arbeitsgruppen Zürich“ im Jahr 1972. Letztere konnten damals schon auf ein sympathisierendes Ohr der NZZ und des Tagesanzeigers zählen…
Im linken Magazin „focus“ erschien 1973 eine öffentliche politische Diskussion unter dem Titel: „schwul – aber ein guter Freisinniger“. Die „bürgerlichen Schwulen“ waren nämlich schon am Anfang der öffentlichen Schwulenbewegung ein Thema. Doch hat es jetzt 40 Jahre gedauert – bis kurz nach Einführung der „Eingetragenen Partnerschaft“ als bürgerliches Lebensmodell, bis sie sich getraut haben, sich öffentlich in bürgerliche Parteien „einzunisten“. Um die SVP hat das natürlich Staub aufgewirbelt.
Ich bin 1973 zur Schwulenbewegung gestossen, über einen Artikel, den ich im linken Magazin „focus“ gelesen hatte. Ich zitiere diejenigen Punkte, die auch heute noch diskutiert werden müssen!
(1973) „In den politischen Parteien haben wir noch keine eigentliche Unterstützung gefunden, obwohl man annehmen sollte, dass eine so grosse Gruppe wie die der Homosexuellen ein gewisses Potential darstellt. Es gibt Gruppen, die viel kleiner sind als wir, für die setzt man sich ein.“
„Ich gehe vom sozialpolitischen Standpunkt aus, weil ich aus eigener Erfahrung weiss, dass viele Schwule aus katastrophalen familiären Situationen herauskommen, an denen unser herrschendes System Schuld ist. Ich unterstütze jede Organisation, die auch in der Beziehung dafür sorgt, dass ein Mindestmass vorhanden ist, der es dem Geringsten von uns ermöglicht, ein menschenwertes Leben zu leben.“ (Edi, SOH, in focus Nr. 43, Juli/August 1973, S. 8-15)
focus: „Das sind Forderungen, die so auch das fortschrittliche Kapital auf seine Fahnen schreiben kann, weil sie langfristig durchaus in seinem Interesse liegen.“
(Peter Baumann, focus Nr. 43, Juli/August 1973, S. 8-15)
Vielleicht erhellt nachfolgende Stelle Gründe für eine „verspätete bürgerliche Politisierung“ etwas mehr…
„Ich möchte da mal noch auf einen anderen Punkt zu sprechen kommen: Wir sind sehr progressiv im Reden. Dabei wissen wir aber ganz genau, dass unter den Schwulen der grösste Teil stock-konservativ ist, stock-konservativ erzogen wurde und sich auch stock-konservativ verhält. Vor allem zwei Dinge fallen da auf: Es gibt bei uns Typen, sagen wir mal Direktoren, die den ganzen Tag die Möglichkeit haben (und von dieser Möglichkeit auch Gebrauch machen) mal einen Linken, Langhaarigen aus der Bude rauszuschmeissen, weil der schwul ist, und die dann am Abend im Park genau diesen Gay aufreissen und der ihnen für die ganze Nacht recht ist. Zum anderen haben wir die Erfahrung gemacht, gerade in unserer Organisation, dass diese Direktoren und andere sogenannte “gutgestellten Leute” sich vehement dagegen sträuben, dass junge Leute da in den Club (hey, ehem. Nähe Bellevue, PT) kommen und etwas Neues zu machen versuchen. Daran sind sie nicht interessiert.“
(Erwin, SOH, in focus Nr. 43, Juli/August 1973, S. 8-15)
Je bürgerlicher also, desto „angepasster“ an diese Normen, welche „von Natur aus“ die sichtbare Homosexualität ausgrenzen. Das beobachte ich auch bei den Bisexuellen. Bis jetzt hat sich keine öffentliche Sichtbarkeit dieser „Sexualpräferenz“ ergeben. Die Metrosexualität ist nur ein modisches Klischee, hinter dem mann allenfalls seine homosexuellen Bedürfnisse verbergen kann. Wichtiger ist immer noch, als Hetero aufzutreten! Und als „halb-hetero“ ist er ja „noch nicht ganz verloren“… Bürgerlich gesehen ist eben Männlichkeit wichtiger als irgendwelche Formen von „Weiblichkeit“, die an Homosexuellen und in der Homosexualität (anale Penetration) vermutet werden. Mir ist in den letzten Jahren auch aufgefallen, dass Bisexuelle auch nicht bereit sind, das „Stigma“ mitzutragen und einen Beitrag zu leisten an einen Abbau der Diskriminierung. Wichtig aber auch, festzuhalten, dass Bisexuelle vor allem von (ihren) Frauen diskriminiert werden!
„Aber noch zur konservativen Haltung der Schwulen: Das hängt mit dieser Unsicherheit zusammen, mit dieser fundamentalen sexuellen Unsicherheit. Diese Zwangssituation im Ghetto führt im übrigen Bereich zu einer Überanpassung. Wenn man da etwas lockern kann im sexuellen Bereich, dann hört auch die Überanpassung auf.“ (Martin, HAZ, in focus Nr. 43, Juli/August 1973, S. 8-15)
Ich denke, der Zusammenhang ist richtig, aber die Schlussfolgerung hat sich bis heute als falsch erwiesen! Weder die Lockerung des „schwulen Ghettos“ (also auch seine Kommerzialisierung), noch die Lockerung der sexuellen Vorschriften haben die „Überanpassung“ an die bürgerliche Gesellschaft verhindert.
„Dass die meisten Schwulen im Moment überangepasst sind und eine konservative Haltung einnehmen, hängt damit zusammen, dass sie in allen Bereichen, wo sie nicht so vital betroffen sind – oder wo sie meinen, nicht so vital betroffen zu sein -mit den Wölfen heulen wollen und päpstlicher als der Papst zu sein versuchen, wenn die Leute dann nur wenigstens zur Haltung kommen: “Er ist zwar schwul, aber er ist ein guter Freisinniger.”
(Michael, HAZ, in focus Nr. 43, Juli/August 1973, S. 8-15)
Die gay-svp beruft sich auf das Programm iher Väterpartei: Erstmal wird die Freiheit, die als Gegensatz zum Staat verstanden wird, gross geschrieben. Obwohl nicht die SVP unsere Rechte und Grundfreiheiten garantiert, sondern der Staat, an dem sie ja als „grösste Partei“ auch immer mehr teilhaben will… 😉
gay-svp: „Wir stehen zur Politik der SVP und unterstützen das Parteiprogramm vollumfänglich. Wir sind für die Ausschaffung krimineller Ausländer, sind gegen den EU-Beitritt und stehen ein für eine unabhängige Schweiz und ihre traditionellen Werte ein.“
Also genauso wenig wie die Heteros wollen sie sich überlegen, woher und warum „kriminelle Ausländer zu uns kommen und ob diese Migration vielleicht selbst mit verursachte, wirtschaftliche Gründe haben könnte. Und genauso wenig wie viele „Scheinehen“ können damit „Scheinpartnerschaften“ verhindert werden!
Unklar ist, was die traditionellen Werte der Schweiz sein sollen. Wahrscheinlich die Werte der SVP (ehemals Bauern- Gewerbe- und Bürgerpartei). Vielleicht sind sie aus dieser alten Bezeichnung ableitbar.
Die gay-svp unterstützt die Petition für die Adoption von Kindern durch gleichgeschlechtliche Paare – und das geht wohl am besten in einer eingetragenen Partnerschaft. Ok. Aber was soll dieser Satz: „Auch gleichgeschlechtliche Paare werden ihre Kinder somit eher aus dem Ausland adoptieren. Diese Kinder erhalten damit eine Chance anstatt auf der Strasse oder in schlecht geführten Kinderheimen in einer geborgenen Atmosphäre aufwachsen zu dürfen.“
Völlig übersehen wird die Tatsache, dass Homosexuelle aus schlecht geführten Kinderheimen wohl eher in der Lage sind, über die traditionell-heterosexuelle Familie hinauszudenken und die in „einer geborgenen Atmosphäre“ aufgewachsenen Homosexuellen wissen auch, dass sie mit ihrer Orientierung darin etwa genauso wie „auf der Strasse“ oder in einem „schlecht geführten“ Kinderheim aufwachsen“ durften… (Ich pauschalisiere absichtlich! Ihr wisst schon, was ich meine.)
„In vielen Ländern sind Homosexuelle Verfolgung und Bedrohung an Leib und Leben ausgesetzt. Wir unterstützen Bestrebungen, diesen Menschen mit allen unseren Möglichkeiten (Aussenpolitik, Förderungsprogramme, Aufnahme in der Schweiz) gezielt zu helfen und sie zu unterstützen.“
Das ist sehr lobenswert und in deren Heimatländern langfristig auch wirksam. Aber wer entscheidet, wer und wie viele davon „Aufnahme in der Schweiz“ erfahren dürfen? Es sind Heteros – und ich kenne keine der Stellen, in denen vielleicht irgendwo eine Regenbogenfahne steht, die signalisiert, dass auch Homosexuelle willkommen wären, denn homosexuelle Flüchtlinge werden – aus ihrer Erfahrung zuhause – mit ihrer Orientierung hier keine Flagge zeigen!
„Es ist unsere Überzeugung, dass der schleichenden Islamisierung unserer Gesellschaft entschieden entgegen zu treten ist. Die Intoleranz gegenüber Homosexuellen, welche vor Verfolgung bis hin zur Tötung nicht zurückschreckt, ist gerade in islamistischen Kreisen besonders stark. Und deshalb muss das Minarett, als Machtsymbol für die Unterdrückung Andersdenkender, verboten werden.“
Da kann ich als einheimischer evangelischer Schwuler nur meine Augen aus dem Kopf staunen, wie geschichtslos und ignorant die gay-svp gegenüber der eigenen christlich-katholischen Kultur und ihren Machtsymbolen mit Türmen, Kathedralen und sogar Glocken, ist. (Stichworte: Kriminalgeschichte des Christentums. Mormonen, Zeugen Jehovas und alle diese Jubelkirchen in den USA – und neustens auch in Afrika/Uganda!) Ich erinnere auch daran, dass alle die Gruppierungen wie „Homosexuelle und Kirche“ (HuK) in Jahrzehnten vielleicht Bewegung in die evangelische Kirche, aber keine Rasierklinge zwischen das Gestein der katholischen Kirche gebracht haben.
„Wir sind besorgt über Entwicklungen, die die traditionelle Familie bedrohen. Diese Initiative verlangt die Gleichberechtigung fremd betreuender Eltern mit solchen, die ihr Kind zu Hause aufziehen. Beide Familienformen sollen Anspruch auf Steuerabzüge haben. Auch als Homosexueller kann man für eine traditionelle Familie einstehen.“
Diese traditionelle – hier vor allem Klein- Familie, die ihr Kind zu Hause aufzieht, es vielleicht gerade noch zur Schule gehen lässt, aber sonst „gut behütet“, erlaubt es gerade NICHT, einem homosexuell orientierten Kind Alternativen zur Heterosexualität kennen zu lernen. Denn diese traditionelle Familie ist homophob und vor allem an der weiteren Fortpflanzung interessiert, damit das eigene Leben in die „Ewigkeit“ verlängert wird, wie es die Religion auch verspricht! Unter diesem Aspekt ist die Behandlung der Homosexualität an Schulen eine lobenswerte Unterstützung der gay-svp, aber letztlich nicht im Interesse einer „traditionellen Familie“. Gerade, weil „fremd betreute“ Kinder auch mal Kinder aus „anderen Familien“ zu sehen bekommen, wären Erziehungsabzüge bei den Traditionellen keine wirkliche Investition in die „soziale Bildung“.
Mein Eindruck von der gay-svp ist eher einer von einem Pfahl im Fleisch, mit Konzessionen an verschiedene Werte, die auch das Selbstbewusstsein von Homosexuellen – gerade in der Familie – anfressen. Dabei wird Sexualität – in gewohnter typischer Art als „Privatsache“ erklärt, um die Widersprüche nicht sichtbar werden zu lassen – genauso wie bei den Heteros. Hier die Familie und dort die Langstrasse… Das Eine hat angeblich mit dem Anderen ebenso nichts zu tun, wie ein schwuler Direktor mit einem schwulen Angestellten. Erst beim Fick im Park oder der Sauna. Aber das haben wir doch schon 1973 diskutiert.
Die Erfahrungen mit schwulen Kandidaten auf hetero Parteilisten haben gezeigt, dass von ihnen mehrheitlich heterosexuell geprägte Politik gemacht wird. Da versickern schwule Anliegen gleich durch Anpassung – auch bei den Linken!! Und soll mir einer glaubhaft erklären, ob das Gesetz über die „eingetragene Partnerschaft“ unter Bundesrat Christoph Blocher (Justiz) bis heute jemals geboren worden wäre! Das habt Ihr vor allem der CVP und ganz persönlich der Ruth Metzler zu verdanken!
Peter Thommen_60, Schwulenaktivist, Basel
Hier der Link zur focus-Diskussion 1973
http://www.schwulengeschichte.ch