Eine Tucke führte uns Tunten und Trash vor

„The worst case“ war der Titel der öffentlichen Veranstaltung in der Kaserne – im Rahmen der Zischbar eine spezielle „schwule“ Ausgabe. Nach anderthalb Stunden war dann für mich auch der worst case eingetroffen und ich verliess verärgert die Veranstaltung. Doch alles von vorne…

Diese Veranstaltung ist angekündigt worden als Präsentation von schlechter schwuler Kunst. „Bizarre Ratgeber, grässliche Musik, menschenfeindliche Weltanschauungen, frauenfeindliche Esoterik, misslungene Grosskunst. Nichts ist ihnen heilig ausser dem Leitsatz: Das Gegenteil von Gut ist gut gemeint.“

Doch Trash kann auch so schlecht sein, dass er schon wieder gut ist!

Eingangs präsentierte der bequem auf einem Sofa sich räkelnde Storm Bilder aus der vergangenen Epoche der Knaben und schönen Geister des Griechentums. (Monté Verità)  Eine Zeit der „schmachtenden“ Schwulen wie Stefan George und Andere.

Oscar Wilde brachte er uns nahe mit dem umstrittenen Werk „Teleny“. Allerdings ist das Machwerk an der vorletzten Jahrhundertwende zu verorten und sagt leider nichts über Oscar Wilde allgemein aus. Aber es ist bewundernswert, wie sich die gesellschaftliche Pornografie damit einen literarischen Erguss geleistet hat, der bis heute nachwirkt. Es hätte dazu bemerkt werden sollen, dass die schriftliche Pornografie von heute leider in hundert Jahren nicht weiter gekommen ist – Teleny also eine Pionier-Arbeit war. Hier konnte man immerhin auch über sich selbst lachen…

Das witzigste des Abends waren die von bekannten Filmen abgewandelten Pornofilmtitel, wovon er 100 im Schnellauf präsentierte. Aber auch harmlose Szenenbeispiele aus schwulen Pornos wie Stiefellecken, oder Gayracula mit Werwolf waren erheiternd.

Sehr witzig war auch der Ausschnitt aus Rosa von Praunheims Film „die Bettwurst“, worin ein offensichtlich tuntiger Mann einer Frau seine Liebe erklärt, halb auf dem Bett und halb auf ihr liegend…

Doch wo hat das Schenkelklopfen seine Grenzen? Wir hörten uns Zitate aus dem Lebensbericht eines ex-Gays an, worin er immerhin übermittelte, dass die erste Frau, mit der er dann Sex hatte, ihn inständig bat: „Mach mir ein Kind! Mach mir ein Kind!“

Interessant war die Passage aus diesem Buch, worin Schwule als kindlich und lustig und Beiträger von Unterhaltung für die Allgemeinheit seien. Dafür waren sie ja immer gut genug. Etwas später führte er eine Filmsequenz aus einer US-TV-Show vor, in welcher drei Neger* herumschwuchtelten und sich vor einem weissen Moderator präsentierten…

Hier fiel mir der Groschen, denn auch Neger waren mal dazu da, den Weissen dienstbar und unterhaltbar zu sein. Doch leider übersah Strömer die parallele Symbolik. Hier könnte ich schreiben: „Er gluckste nur dazu“. Er strebte aber schon zum nächsten Höhepunkt. Aus einem Filmwettbewerb in Berlin präsentierte er uns einen Videoausschnitt, worin Schwule erklären, was sie über Lesbensex wissen. Drei Beispiele von dummen Schwuchteln, die sich Sex ohne Schwanz nicht vorstellen können, allenfalls Dildos benutzen und bis zum Bekenntnis, dass Lesben vor allem zärtlich seien, viel rumkuschelten und sich einfach schrecklich lieb hätten. (Was sehr viele Lesben gegenüber den Schwulen und Heteros ja auch oft darzustellen bemüht sind!)

Nun wurde mir die Sache zu schräg. „ … menschenfeindliche Weltanschauungen, frauenfeindliche Esoterik, misslungene Grosskunst. Nichts ist ihnen heilig ausser dem Leitsatz: Das Gegenteil von Gut ist gut gemeint.“

Ok. Ich mag auch über Schwule lachen, auch über mich selbst. Und sicher wären gefilmte Äusserungen von Lesben über schwulen Sex auch interessant gewesen. Es musste halt nicht sein. Doch vorführen (demütigen) lasse ich uns nicht. Nicht vor uns selber, nicht vor Lesben und nicht vor Heteros. Zufällig war ich grad am lesen eines Buches, das Susann Sitzler in der BaZ vom 10.2.2012 besprochen hatte: Dawison: „Motherfucker“. Eine Kulturgeschichte dieses offenbar für Heterosexuelle in den USA zentralen Schimpfwortes. Mit vielen Bezügen zu Musik, Literatur und Filmen bis in die Gegenwart. Darin legt der Autor dar, wie verschiedene soziale Gruppen damit umgingen und es wieder und wieder-verwendeten. Es wurde erst nur unter Schwarzen geführt, dann auch gegenüber Weissen gebraucht, drang später ins weisse Vokabular ein und richtete sich auch von da wieder gegen die Schwarzen.

Von der Selbstunterdrückung und gegenseitiger sich „Vorführung“ bis zu gegenseitiger Unterdrückung. Und genau an diesem Punkt droht Störmers Präsentation schnell abzugleiten. Ich merkte, dass es ihm weder um Geschichte, noch Kultur, noch um Zeitgeist ging, sondern nur um den reinen Unterhaltungswert des Schenkelklopfens oder Tittenschaukelns, um es etwas gröber zu umschreiben…

Politisch könnte man es mit der Pädophilendarstellung vergleichen – was bei Störmer ja mit den Jünglingen von Monte Verità schon anklang. Von 1942 bis 1992 war das Schutzalter in der Schweiz aber bis 20 Jahre. Zwischen Männern war das für viele verhängnisvoll, zwischen Frauen interessierte das keineN – denn was passiert schon zwischen Frauen? (Die Frage stellten sich 200 Jahre früher schon englische Richter und sprachen zwei Frauen frei!)

Und so wie die Tucke vorne schlechte Kunst zur Unterhaltung präsentierte, ohne Ansehen der Geschichte, so trägt man und frau heute auch den Schwulen ihre „pädophile Vergangenheit“ nach, ohne jemals die Frage ernsthaft zu stellen: Wer entschädigt alle die Täter, die in 50 Jahren bestraft wurden (Was übrigens vom Bundesgericht noch gedeckt wurde!) , während heterosexuelle Männer sich selbstverständlich ein Schutzalter gegenüber Mädchen von 16 Jahren herausnahmen?

Ganz absichtlich vermische ich hier zwei verschiedene Paar Stiefel. Doch das eine ist ohne das Andere nicht zu denken! Selbstdiskriminierung, Vorführung, Vorurteile und „mangelnde Geschichtskenntnisse ergeben eine gesellschaftspolitische Suppe, die letztlich die Schwulen zu Negern macht – die wiederum nicht von den Heterosexuellen ausgelöffelt werden muss.

Mein Urteil: „Das Gegenteil von gut, ist gut gemeint“  Der gebotene Trash war zwar schlecht genug, aber die Präsentation hat das ganze verkackt.

Ich hatte so irgendwie das Gefühl bekommen, man und frau gehen am Ende der „Vorstellung“ nachhause mit der Befriedigung: Was bin ich doch für einE normaler HomosexuelleR! Hat das die Schwulenbewegung gewollt?

Peter Thommen_62

 

P.S. Der Titel hat übrigens auch zwei Bedeutungen! 😉

 

* (Anführungszeichen werden nicht konsequent an bestimmten Wörtern gesetzt, da klar sein muss, dass die Ausdrücke mehrdeutig verstanden werden können)

Susann Sitzler, über das Buch Motherfucker (PDF 1,2 MB)

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*1950, Buchhändler, Schwulenaktivist, ARCADOS Archiv für schwule Studien
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