Erster Mai 2011 – die Schwulen bleiben unter sich

… oder verschwinden unter den Heteros

Wir hätten auch heute noch gute Gründe, an den 1. Mai-Demos teilzunehmen, denn auch heute noch sind wir auf eine soziale Schweiz angewiesen. Auch Schwule kommen als Arbeitskonkurrenten in die Schweiz – und Schwule verlieren nun mal die Arbeitsstelle schneller als Familienväter. Verpartnerte Schwule sind verpflichtet, ihrem „Ehemann“ in finanziellen Notlagen beizustehen, nicht nur die Ehefrauen.

Schwulsein „ist heute kein Problem mehr“, aber schwul leben schon noch! > „Bitte nicht auf meinem Sofa!“

„Es ist kein Zufall, dass sich die Schwulen der Arbeiterbewegung anschliessen. Wer könnte sich eine Homosexuellen-Delegation an einer Arbeitgeber-Konferenz vorstellen, obwohl es sicher viele schwule Unternehmer gibt? Nur die Arbeiterbewegung ist fähig und willens, die heutige Gesellschaft in Richtung Demokratie und Freiheit zu verändern. Nur die unten sind, ohne Zweitvilla und Aktienpaket, sind bereit, für die Veränderung einzustehen. Die Homosexuellen haben sich in die richtige Reihe eingefügt.“ (Martin Herter in der Basler AZ vom 15. Mai 1979, in der Titelkolumne)

Ich weiss wirklich nicht, was Martin Herter zu einer Gruppe wie der gay SVP gesagt haben könnte. Und „network.ch“ gab es damals noch nicht. Aber für diese Diskussion weise ich auf das historische Gespräch „zwar schwul – aber ein guter Freisinniger!“ (PDF) von 1973 hin!

Die Schwulen haben jeden Tag 1. Mai, wenn sie ins „öffentliche“ Internet gehen und mit Passwörtern und Nicknamen in eingegrenzten Portalen (wie diskret das auch immer sei!) für ihre sexuellen Bedürfnisse auftreten!

Worin besteht nun die Sexualität in Freiheit, die durchaus auch als Arbeitsleistung betrachtet werden kann? Arbeit an sich und an Anderen – zur Beförderung von Glück und Befriedigung – nicht nur in einem materiell geprägten Leben.

Es besteht für Schwule die Freiheit, an öffentlichen Orten – wenn auch nicht für Heteros sichtbar – geduldet, Sex-Kontakte haben zu können. Im Internet frei zu surfen und zu kontakten – solange alle Beteiligten 16 Jahre oder mehr alt sind. Die Freiheit, Fetische aller Art zu haben, Drogen konsumieren zu können und sich sexuelle Hilfsmittel, Darstellungen und kulturelle Werke kaufen zu können. Tom of Finland mit seinen Riesenschwänzen zum Beispiel. ABER, die Homosexualität und ihre Kultur findet nicht mitten in der heterosexuellen Gesellschaft – und als Teil von ihr statt!

Obwohl der grösste Teil „homo-sexueller“ Aktivitäten von Männern betrieben wird, die sich nicht als schwul verstehen, oder sonst völlig in hetero Lebensweisen aufgehen – ausser der „kleinen schwulen Abwechslung“, ist Schwulsein und schwule Kultur offiziell etwas „nur für diese Minderheit“.

Wenn ich jemandem grundlegende Zusammenhänge über Homosexualität erzähle, dann kann es vorkommen, dass der oder die Nachbarn schon mal bemerken: „Ich weiss nicht, ob das mich überhaupt interessiert“. Wenn ich natürlich einem 15jährigen Jungen einen Blowjob mache, dann aber interessiert das die Leute schon – bis ins Detail, was ich denn da gemacht habe! Vierzehnjährige Sexualpartnerinnen sind dagegen für sie völlig selbstverständlich!  😉

Sexuelle Mitbestimmung und Selbstbestimmung war vor und während der Revision des Sexualstrafrechts das zentrale Thema unter Schwulen, die das Licht der Öffentlichkeit nicht scheuten. Wir sind nämlich alle „pädophil“ gewesen, solange unsere Partner nicht 20 Jahre alt waren! Das haben schon wieder viele vergessen. (1)

Doch davon ist heute nichts mehr übrig geblieben. Die Freiheit ist wohl im Internet – nicht in der Gesellschaft. Von einer umgekehrten Wirkung – wie in Nordafrika zB – ist mir nichts bekannt. Im Gegenteil: Das Internet muss zensiert und von der Polizei kontrolliert werden!

Seit 2003 haben wir die Möglichkeit, uns zu verpartnern. Zwar nicht gleich wie die Heteros, aber das kümmert viele Schwule nicht, denn sie (vor allem die Jungen) geben oft auf ihren Profilen an, sie seien „verlobt“ oder „verheiratet“ – manchmal auch nur „in einer Beziehung mit…“

Wenn wir mal ganz rosarot hinter dieses Pseudo-Eheinstitut für Homosexuelle blicken, dann erkennen wir die Absicht der Heteros – hinter der Freude der Homos: Um den Preis der bürgerlichen „Gleichheit“ – aber ohne Gleichwertigkeit sind die Schwulen als Konkurrenz für Heteros quasi „ausgeschieden“. Entweder ist Mann verheiratet, oder verpartnert. Konkurrenz (wie aus der wilden Zeit vorher!) entsteht dadurch niemanndem/niefraudem mehr. Mischformen sind undenkbar! (Da ständen Göttinnen von den Toten auf!)

Eine zusätzliche „Lebensform“ ist eigentlich nicht entstanden. Nicht mal im Hinblick auf mehrere Partner, die sich vertraglich ja auch binden könnten, um zusammen zu leben und zu wirtschaften, statt Kinder aufzuziehen

Die Kinder-Diskussion – nicht die Lebensformen von Kind an – wird durch die „Regenbogenfamilien“ erneut belebt. Damit auferstehen aber auch wieder alte Vorurteile gegenüber Schwulen aus dem letzten und sogar vorletzten Jahrhundert! (weniger gegenüber Lesben!) Nicht die Frage nach der Herkunft der Homosexualität seit frühester Jugend und Kindheit wird gestellt, sondern diejenige nach den Auswirkungen von Homosexualität (nicht Heterosexualität) auf Kinder und Jugendliche. (**)

Daneben läuft ganz separat eine Kampagne um die selbstmordgefährdeten homosexuellen SchülerInnen und jungen Männer – mitten unter den Heteros/as. Gegen Selbsttötung, Mobbing und Verzweiflung homosexueller Kinder und Jugendlicher  gibt es keinen „Marche rose“ und keine Unterschriftensammlung für ein Erziehungsverbot für heterosexuelle Eltern oder Pädagogen! (Zwangsheteronormalität) 😛

Prostitution ist auch eine Form von Arbeit, denn Arbeit ist „Notwendiges zu tun“. Aber schon bei der Haus- und Familienarbeit gibt es Unterschiede in der Bezahlung, im Vergleich zur offiziellen Arbeit ausserhalb…

Es ist sinnvoll, sich daran zu erinnern, dass die Prostitution zwischen Männern (womit die meist Heterosexuellen und hetero lebenden Männer immer „abgedeckt“ waren, ab 1942 verboten wurde – mit moralischer Begründung. Aber schon damals war doch klar, dass junge Männer, die „Taschengeld“ (Theres Ollari, 1988) brauchten, sich dieses „damit“ viel leichter verdienen konnten. Der Kanton Basel-Stadt sah keine Strafen dafür vor. Seine Definition lautete klar – bei Jungs und Mädchen: „Abhalten von der Arbeit“.

Neuestens soll die Prostitution von Migrantinnen – wegen Ausbeutung durch Männer – zwischen 16 und 18 Jahren wieder verboten werden. Während 1942 die hetero Männer straflos geblieben sind, sollen sie heute kriminalisiert werden, denn die Bestrafung der Migrantinnen erscheint wohl allen unsinnig. Aber Strafe muss irgendwie sein. Es genügt nicht, wenn schweizerische Rechtspolitik die Migranten in die Nothilfe drängt, oder sogar in den Untergrund. Auch Angesichts der immer noch nicht verwirklichten Lohngleichzahlung bei Männern und Frauen, sind solche Anliegen einfach nur schwachsinnig, auch wenn sie von Politikerinnen kommen!

Natürlich werden auch junge Männer oder Migranten davon erfasst. Das Gesetz gilt ja für alle gleich! Damit rekriminalisiert man/frau erneut die männliche Homosexualität. Und allein unter Frauen „kommt so was ja nicht vor“!

Und ganz neu könnten wir Schwulen heute bei den Heten kompetent mitreden. Denn nach feministischer Sichtweise, „produziert die (männliche) Nachfrage das Angebot“. Also bei den Schwulen produziert auch die männliche Nachfrage ein Angebot – auch aus aller Welt. Allerdings wird jetzt auch bei den Schwulen sichtbar, dass die Einrichtung der „Schwulenehe“ wohl dazu beiträgt die „fehlende Befriedigung“ vermehrt durch diskrete Dienstleistung ausserhalb abzudecken.

Und für mich ist ganz klar: Diese weibliche Argumentation unterschlägt nun wirklich fassbodentief die Tatsache, dass die Ehe und die Verpartnerung eben längst nicht alle sexuellen Bedürfnisse in einer vertraglichen Beziehung befriedigen können. Es ist reine Selbstüberschätzung der weiblichen Partnerinnen und homosexuellen Partner. Mann und Frau blicke in andere Kulturen mit anderen Beziehungsformen und zu anderen Zeiten!

Der Sinn der Ehe soll darin bestehen, dass die Arbeit in dieser „Wirtschaftsgemeinschaft“ durch Lustbefriedigung „bezahlt“ werden soll. Während die „unlustige Arbeit“ ausserhalb und im Anstellungsverhältnis mit Geld bezahlt wird. Nun gibt es grosse Unterschiede in beider Bezahlung und der „freie Markt des Sex“ gleicht diese wieder aus. Und so wie es für die jungen Männer früher moralisch eine Schande war, sich für sexuelle Dienste an anderen Männern „herzugeben“, so trifft es heute wiederum Männer – aber umgekehrt – die die sexuellen Dienste von Migrantinnen (aus was für Gründen beide sich finden, bleibe mal dahin gestellt!) in Anspruch nehmen.

Ich möchte es nicht versäumen, ausdrücklich anzumerken, dass es immer Jungs gab, die auch ohne Bezahlung einen grossen Altersunterschied überbrücken konnten, aus Lust und aus Liebe. Das zeigt sich auch übers Internet. Aber das war und ist natürlich den Gesetzgebenden entweder völlig wurscht, oder naiverweise unbekannt. Ob das zwischen Heterosexuellen auch in dem Masse gilt, lasse ich auch mal dahingestellt!

Die Rekriminalisierung der Prostitution – eben auch bei Schwulen – ist ein weiterer Schritt im juristischen Zerbrechen der Einheit von Materie. Also ab 16 Jahre sexuelle Selbstbestimmung (damals von Elisabeth Kopp öffentlich ausgesprochen) in allem. Erneut werden sich Gerichte darüber beugen, den MigrantINNen Status definieren und moralisieren. Dabei sind die Gründe wirtschaftlicher Natur. Denn für „ehrliche“ Arbeit und Krieg sind Kinder immer noch nicht zu schade – weltweit!

Ich möchte den 1. Mai schliessen mit Wilhelm Reich. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Sexualität, auch für diesen Forscher, idealerweise im Begriff „Liebe“ mit eingeschlossen ist.

„Liebe, Arbeit und Wissen sind die Quellen unseres Lebens. Sie sollten es auch beherrschen.“ Wilhelm Reich, 1897-1957

 

Peter Thommen, Schwulenaktivist, Basel (61)

(ältere Thommens Senf zum 1. Mai hier , 1998-1996, auch Herter vollständig, 1979)

 

HABS am 1. Mai 1979, Rittergasse

** Michi Rüegg im Cruiser:  „Schlimm, dass wir unsere gotteslästernen Partnerschaften registrieren dürfen, jetzt fällt es uns auch noch ein, Kinder adoptieren zu wollen. Da hört nun jeder Spass auf. Denn, wenn der Pullermann in den Popo flutscht, ist Satan nicht weit, das weiss jeder anständige Christenmensch. Und in einem solchen Umfeld soll kein Nachwuchs aufwachsen, und überhaupt, denken die, wir wollen ja bloss eigene Kinder, damit wir sie bequemer missbrauchen können.“ (Zitat aus: Gottes freie Natur, eine Wanderung für Atheisten) Ein Essay über den Bibelwanderweg in Zürich (Cruiser Mai 2011, S. 36)

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(1) Schmutz Marcel und Peter Thommen: Die Unzuchtsparagraphen 191 und 194 im schweizerischen StGB (von 1942), ARCADOS Verlag 1980, 30 S.(ISBN 3-85522-001-8)

Schüle Hannes: Die Entstehung des HomosexualitätsArtikels im Schweizer Strafrecht 1894-1942 im zeitgenössischen Umfeld von Sitte, Moral und Gesellschaft, Selbstverlag 1983, 60 S.

(zwei äusserst spannend geschriebene historische Darstellungen, deren Argumente und politische Einschätzungen – schon wieder – sehr interessant und aktuell sind! PT – e-book-Ausgabe in Vorbereitung)

Über admin

*1950, Buchhändler, Schwulenaktivist, ARCADOS Archiv für schwule Studien
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