Ganz in der Tradition der „geistigen Landesverteidigung“ aus der Zeit der Herrschaft des Nationalsozialismus publizierte eine besorgte Gruppe von Männern im Auftrag des Bundesrates und unter dem Eindruck des Einmarsches des „Warschauer Paktes“ in die damalige Tschechoslowakei (August 1968) ein Büchlein für die GANZE Bevölkerung der Schweiz: „Das Buch will uns orientieren: im Hinblick auf künftige Geschehnisse, auf Prüfungen, die unsere Bevölkerung heimsuchen könnten, Natur- und andere schwere Katastrophen, auch zur Vorbereitung auf Zeiten möglicher Gefährdung für unsere Heimat.“ (1)
In jedem Schweizer Haus sollte Widerstand (in jener Zeit gegen den Kommunismus) „gelernt“ werden. „Bewahren Sie deshalb das Buch sorgfältig auf, lesen Sie es besinnlich durch, vergewissern Sie sich von Zeit zu Zeit, ob alles vorbereitet sei, und tragen Sie dazu bei, dass wir zuversichtlich den kommenden Zeiten entgegensehen können.“ (1)
Ganz perfid war der Hinweis im Kapitel „Sabotage und Spionage“: „In Kulmau entstand eine grössere Aufregung, weil dem Aufseher der Trinkwasserversorgung ein Schlüssel zum Reservoir auf unerklärliche Weise abhanden gekommen war… In der Untersuchung gestand der Junggeselle, dass er den Schlüssel von einem Unbekannten erhalten hatte, mit dem er widernatürliche Beziehungen pflegte…“ (Schwule als Brunnenvergifter)
Seit 1942 waren „gleichgeschlechtliche“ Akte gemäss StrGB ab 20 Jahren (für beide Geschlechter) erlaubt. (heterosexuelle ab 16 Jahren) Wie bei der Telearena 1978 auch, sollten die damaligen sozialen und politischen Umstände in Diskussionen mitberücksichtigt werden!
„1957 wurden kurz hintereinander zwei Homosexuelle durch minderjährige (unter 20, PT) Stricher ermordet. Daraus und aus einem dritten ähnlichen Mordfall entstand eine gewaltige Medienkampagne mit entsprechenden Urteilen in den nachfolgenden Prozessen. Die Opfer wurden zu Tätern gestempelt und die Mörder mit kleinstmöglichen Strafen bedacht. Zugleich setzte eine homophobe Jagd schlimmster Art ein und löste eine jedes Recht missachtende mehrjährige Welle von polizeilichen Razzien an bekannten Treffpunkten, in Restaurants und Bars, öffentlichen Anlagen und sogar stadtnahen Wäldern aus, in Zürich, auch in Basel, Bern und anderen Orten. Zu Hunderten wurden Menschen zusammengetrieben, auf Polizeiposten verbracht und dort mit Personalien und Fingerabdrücken registriert. Die „Homosexuellenregister“ füllten sich.“ (2)
„Ordnungsliebende Sozialdemokraten schlossen sich der Hetze an. Das ‚Volksrecht‘ schrieb 1963: Das Männermilieu erweist sich in zweierlei Hinsicht als ein gefährliches Milieu: gesundheitlich und kriminell. Von den Lesben nahm man weiterhin kaum Notiz.“ (Willi Wottreng in der NZZaS, 15.09.2002, S. 28)
Diese Strategie „bewährte“ sich bis in die 70er Jahre, in welchen die Homosexuellen Arbeitsgruppen entstanden und öffentlich dagegen auftraten. Diese Razzien „… erlaubten es der Zürcher Polizei, sich – militärisch ausgedrückt – gewissermassen durch eine gewaltsame Aufklärung ziemlich genauen Aufschluss über die Ausbreitung, die Lebensgewohnheiten, die differenzierten Veranlagungsformen und die soziale Schichtung der aktiven Gleichgekehrten wie auch das Ausmass der venerischen Krankheiten unter ihnen zu verschaffen…“ (Siehe Witschi, 1965) (3)
Morde wurden noch in den 60ern bis in die 70er Jahre begangen und gingen erst nach dem öffentlichen Auftreten der Schwulenbewegung zurück.(4)
Aufgrund der aktuell laufenden Diskussionen über das Verhältnis zwischen Schwulen und Lesben muss ich anmerken, dass solcher „behördlicher“ Umgang mit Lesben damals nicht bekannt geworden ist.
Leider werden die historischen Tatsachen heute verdrängt, oder sind unbekannt. Ich erachte die Vorwürfe betreffend die Dominanz der männlichen Homosexualität in der Telearena von 1978 daher als nicht berechtigt. Wer sich darüber wundert, wie turbulent die Telearena 1978 gewesen ist, zieht sich einfach auf den Standpunkt einer „Kindergartentante“ zurück!
Dass die heterosexuellen und die homosexuellen Studiogäste so unversöhnlich sein könnten, hätte ich nicht erwartet. (Indermaur in TAT 14.4.78)
Ich hatte es befürchtet, und ich muss mir leider recht geben: Die letzte <Telearena> hat überhaupt nicht das gebracht, was ich mir von ihr gewünscht hatte. Die Diskussion war konfus, brachte keine Informationen, war gehässig und aggressiv. Wievieles hätte gesagt werden sollen, wievieles wäre aufzuklären gewesen, wievieles hätte man sich sagen lassen müssen. Nichts von allem hat stattgefunden. (Hans-Ulrich Indermaur, Moderator, in Tele 24.4.78)
Herr Indermaur war offensichtlich nicht genug „vorbereitet“ gewesen und brachte noch bürgerliche Naivität in die Sendung mit. (Was sich im Gespräch im Kaufleuten am 27.10.19 in Zürich bestätigt hat, an dem er teilgenommen.)
„Die Schwulen haben sich ja fürchterlich benommen!“ (Leserbriefzitat, als Titelzeile verwendet von Haymo Empl in Cruiser Okt. 2019 )
Nach all den aufgeführten fürchterlichen Razzien, Einvernahmen, Schwulenregistern und Kampagnen verwundert das keineN InformierteN!
Klar, die Frauen hätten auch eine Telearena zu gut gehabt. Aber sie standen historisch nie so im Focus des Volkszorns wie die Schwulen. Keiner interessierte sich für sie. Seit Frauen aber vermehrt in Medien auftreten und sich als Paar darstellen, erleben auch sie jetzt den Shitstorm und Hass aus der Bevölkerung. Das hat nichts mit einer „doppelten Diskriminierung“ zu tun – als Frau und als Lesbe. Männer werden auch doppelt diskriminiert: Als unmännliche Männer (das sind nicht nur Schwule!) und dann noch als Schwule. Die Argumentation führt vom heterosexuellen Grundwiderspruch weg und – zu nichts…
Peter Thommen_69, Schwulenaktivist, Basel
1) Bundesrat Ludwig von Moos (kath.-konservativ) in seinem Begleitbrief (siehe auch Wikipedia!)
2) aus: 170 Jahre bewegte Schweizer Schwule (Ernst Ostertag für network, 2005)
3) in Theodor Bovet (Hg.): Probleme der Homophilie in medizinischer, theologischer und juristischer Sicht, Haupt Verlag 1965 , 150 S. – siehe auch Prof. Stratenwerth in jener Zeit!
4) Von solchen Vorfällen habe ich viele Presseberichte archiviert und zum Teil von Schwulen erhalten.
Im Jahr 1990 bin ich in zwei Beiträgen auf diese Verhältnisse zurückgekommen: Schweiz ohne Schnüffelpolizei. (Die Parlamentarische Untersuchungskomission unter Vorsitz von Nationalrat Moritz Leuenberger (SP) veröffentlichte am 24. November 1989 ihren Bericht über das EJPD.) Siehe Anderschume/kontiki Nr. 3/1990, S. 11-14 und Nr. 4/1990, S. 11-13. Siehe auch Adrian Ramsauer: Lügen die Polizeikommandanten? in Anderschume/Kontiki Nr. 3/1990, S. 9