(Ich verwende diese ungewohnte Schreibweise, weil ich es unpassend finde, in schwulen Zusammenhängen alle anderen Sichtweisen, die von Heteros ausgegrenzt werden, immer an die gay community anzukleben. Oft haben sie auch ganz objektiv nichts miteinander zu tun und die Probleme stellen sich vor allem mit den Heteros. Schwule sollten sich nicht auch noch kompetent fühlen müssen, für die Welt von Lesben, Bisexuellen, Transgendern, Transsexuellen und Transvestiten verantwortlich zu sein. Meist sind sie nicht mal für die Homosexualität kompetent genug. Wieso wir Schwulen jetzt alle unter Schutz nehmen sollen, mit denen Heterosexuelle Probleme haben, ist nicht einsichtig. Das entspricht gesellschaftlich der Frauenrolle, auf die auch vieles einfach nur abgeschoben wird. Letztlich wären denn heterosexuelle Frauen und Männer für uns alle verantwortlich… PT)
Die SUB-Beratungsstelle in München hat unter der Leitung von Sascha Hübner eine Umfrage unter Migranten und Migrantinnen gemacht, um ihre Bedürfnisse zu erfahren. Das Szeneblatt LEO berichtet in seiner Nummer vom November 2010 (S. 6-7)
Die erhobenen Ergebnisse zeigen – gemäss Hübner – nicht so schlimme Verhältnisse im Umgang mit den eigenen Familien oder der Homosexualität, was ich anzuzweifeln wage. Wichtig ist festzuhalten, dass MigrantINNen auch innerhalb der schwulen Szene diskriminiert werden. (45 % der Befragten)
„Was wünschen sich Migranten vom SUB?
Insgesamt wünschen sich fast 80 % multinationale Angebote. Ausserdem sind Migranten deutlich stärker an gemeinsamen Angeboten mit Lesben interessiert als Deutsche. (Meine Erfahrung ist, dass einheimische Lesben deutlich weniger an gemeinsamen Angeboten mit Schwulen interessiert sind. PT) Ganz oben auf der Wunschliste der Befragten stehen Deutsch- und Sprachkurse, Rechtsberatung, Hilfe bei Amtsgängen und bürokratischen Texten. Auch Filmabende sind populär. Parties folgen erst dahinter.“
„Weitgehend unbeackertes Feld sind Leute, die als Flüchtlinge, zum Beispiel aus Afrika oder Afghanistan zu uns kommen. Sie haben oft schwere Schicksale in ihrer Heimat hinter sich und werden unter anderem in Asyl-Unterkünften gemobbt. Hier sind die Unterkunfts-Leiter stark gefordert.“
(Weitere allgemeine Überlegungen von mir) Auch an den Treffpunkten von armen oder obdachlosen Menschen finden sich Schwule und Lesben. Allerdings unsichtbar und nur von schwulem Auge zu erkennen. Wenn ich sehe, wie schwule Hilfseinrichtungen völlig ausserhalb der heterosexuellen Wohltätigkeit stehen und meist ohne „Hilfskässeli“, dann finde ich die obigen Ansprüche an uns ziemlich hoch. Und ich sehe, dass Schwule sich in Notlagen oft nicht an heterosexuelle Hilfsinstitutionen heranwagen, oder dann nur „in hetero Kleidern“.
Erwähnenswert in diesem Zusammenhang ist, dass die Moralkeule des sexuellen Missbrauchs von Migrations-Jugendlichen durch Freier (die auch nicht alle schwul sind) immer wieder auftaucht, wo es um Prostitution geht. Und die privaten Hilfskässeli von Schwulen sind wohl auch nur dann akzeptiert, wenn Sex dabei keine Rolle spielt. Dass die „Notlagen-Sexarbeit“ (neustes Wort in dem Zusammenhang) bei „alten Säcken“ (meist in dem Zusammenhang erwähnt) immerhin ein Arbeits- und nicht nur ein „Dankbarkeits“-Verhältnis ist, wird nicht beachtet. Es gibt in beiden Fällen missliche Abhängigkeitsverhältnisse. Ausgeraubte Schwule wagen es meistens auch nicht, sich Hilfe zu holen. Vielen, die anschaffen, fällt es vor sich selber leichter, „es“ (nur) für Geld zu machen, als sich einzugestehen, selber homosexuelle Bedürfnisse zu haben, die sie sonst nicht wagen umzusetzen.
Es ist auch unter Heterosexuellen üblich, Liebe und Geborgenheit (bei der Frau) gegen Sex einzutauschen. Die Vorstellungen von Romeo und Julia in diesem Zusammenhang sind völlig fehl am Platz. Hier wären subkulturelle und gesellschaftliche Zusammenhänge einzubeziehen, statt einfach immer nur zu moralisieren und separate Schubladen zu öffnen. Ich ärgere mich immer wieder über „heterosexistische“ Sichtweisen, die über schwule Verhältnisse gestülpt werden.
Peter Thommen_60, Schwulenaktivist Basel
(kl. Korrekturen 2014)