Glaube und Wissen

Pfingsten ist einer der wichtigsten Gedenktage der christlichen Religionen. Ein Tag für Glaubensbewusste. Nicht für Historiker oder Politiker.

Niemand muss glauben – aber wir sollten einiges wissen. Wir sollten vor allem zur Kenntnis nehmen, dass das Christentum niemals für 2000 Jahre vorgesehen war! Der Weltuntergang wurde bei den ersten Gläubigen als unmittelbar bevorstehend erwartet. Interessante sozio-historische Fakten habe ich bei Raphael Lenné in seinem Buch „Das Urphänomen Angst“ (1975) gefunden. Besonders das Kapitel „Frühchristentum als Angstkatalysator“ (S. 67-82) hat mich beeindruckt:

Ich kann nur am Rande bemerken, dass die Persönlichkeit nicht als Ideal betrachtet wurde. Ferner ist eine persönliche Tat meist rein negativer Art in Form eines Verzichtes; die kultischen Gebote sind ebenso zahlreich wie kleinlich. So lebt der Mensch unter der permanenten Angst vor potenziellen Übertretungen des Gesetze. Um der primitiven Angst vor einem gewaltigen, bisweilen launischen Gott zu entgehen, nimmt der Mensch komplexere, subtilere Ängste auf sich. Wir haben also eine Welt der Angst und der Busse vor uns, die auch noch mit göttlicher Ungerechtigkeit und damit verbunden mit der Aufforderung zur menschlichen Resignation überbeladen ist. (S. 70)

Dieser Anspruch Gottes auf die totale menschliche Unterwerfung und die Möglichkeit des Terrorisierens kennzeichnen ausreichend die psychische Situation des alttestamentlichen Juden. (S.71)

Den Juden winkt übrigens kein Paradies im Jenseits wie bei Christen und Moslems. Aber es gibt trotzdem einige Vorstellungen von etwas ähnlichem, die überliefert worden sind. Juden waren darauf ausgerichtet, im Diesseits von ihren guten Taten zu profitieren, oder für schlechte bestraft zu werden.

Das Urchristentum ist immer mehr weggekommen vom Weltuntergang und hat die Hoffnung auf das Reich Gottes nach und nach mit anderen Ängsten unterlegt. Paulus – der Konvertit vom Saulus – hat das ausgezeichnet theologisch begründet. Die Mormonen (Heilige der letzten Tage) und Zeugen Jehovas sind noch die letzten, die nach Weltuntergangs-Terminen in den Schriften suchen…

Ähnliches bewegt die afrikanischen Flüchtlinge, die übers Mittelmeer paddeln. Sie wissen praktisch nichts von Europa und den Verhältnissen hier, aber sie wollen weg, weil sie an irgendein Glück glauben, das sie hier finden würden. Vieles wurde ihnen erzählt, vieles haben sie von ferne gesehen…

Neuestens gibt es Leute, die an die Gitter der früheren Andachtsstätte auf der Mittleren Brücke in Basel ein Malschloss einklicken – sogar noch mit ihrem und ihres Freundes Namen darauf eingraviert. Der Schlüssel landet im Flussbett. Nun wird der Glaube ihre Beziehung steuern. Er darf nicht unterschätzt werden!

Peter Thommen_64, Schwulenaktivist, Basel

Penta – 50 – Pfingsten, 2012

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*1950, Buchhändler, Schwulenaktivist, ARCADOS Archiv für schwule Studien
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