ficken, ficken, fallen lassen

Vor einiger Zeit befand ein Weltwoche-Journalist, „die Gesellschaft“ würde immer mehr von Schwulen „homosexualisiert“. Ich weiss nicht, wo ihn der Aff gebissen hat, jedenfalls war es kein schwuler – aber ein homophober! 😛

Doch nun zum Ernst der Sache! Wer wird hier wie sexualisiert? Meine Beobachtungen und Erfahrungen sind zwar nicht repräsentativ – aber symptomatisch. Immerhin bewege ich mich seit gut 10 Jahren im Internet, das die aktuellsten Informationen und Diskussionen anbietet.

Ich bin nie ein Analerotiker gewesen. In meiner Jugend behaupteten auch die meisten Homosexuellen, dass sie „so was“ nie tun/lassen würden. Alles Lüge! In 40 Jahren Erfahrung habe ich lernen können und müssen, dass eigentlich Männer die Homosexualität quasi gleichsetzen mit Arschficken. Spätestens seit 30 Jahren ist es aber offensichtlich: Der Anus ist immer noch der gefährlichste Infektions-Ort für HIV. Und es ist nicht zu leugnen, dass die anale Penetration vielen Männern und Schwulen genauso „heilig“ ist als sexueller Tummeplatz, wie sie für die katholischen Kirche eine todeswürdige Sünde darstellt.

Der Arschfick ist sowohl den Heteros eine würdige Alternative zum vaginalen Koitus (mit jahrhundertealter Verhütungswirkung), als auch vielen homo- und bisexuellen Männern eine hetero-ver-gleichs-wertige Sexualpraktik. Sogar die historische Psychologie findet, die (vaginale) Penetration sei zugleich End- und Höhepunkt der psychosexuellen Entwicklung eines Menschen. Daher wurden auch andere Sexualpraktiken immer entwertet oder gar verboten, obwohl die Realität und die Sexualforschung gezeigt haben und weiterhin zeigen, dass die „Missionarsstellung“ zwar für die Fortpflanzung unersetzlich ist, aber für den Genuss weit herum nicht als einzig gilt.

Das Thema schlich sich gerade heute wieder in ein Gespräch beim Coiffeur ein, wobei ein 30jähriger Italiener bemerkte, dass es „da unten“ ja auch dreckig sei. Tja, für die Vaginalhygiene sind natürlich die Frauen verantwortlich und in früheren Jahren habe ich mich auch immer wieder gefragt, wieso Mütter, Freundinnen und Ehefrauen stinkende Pimmel und Phimosen bei den Boys und Männern einfach so akzeptiert oder „übersehen“ haben. Da bleibt wohl dann für den Darm und den Anus keine Zeit mehr übrig… Wer wird hier wie sexualisiert? Eben!

Nicht zu übersehen ist in den letzten Jahren der „Andrang“ von Hetero- und Bisexuellen in die Kontaktplattformen der Gays. Etwa 30 % beträgt der Anteil der „offen deklarierten“ Bi-User da drin und für die Klemmer, die nichts angeben, dürfen wir ruhig noch 20 % dazu rechnen, ohne unrealistisch zu sein. Wir Schwulen ficken also schon lange mit vielen Heteros und Bisexuellen herum. Aber dies wird von Schweigen gedeckt – wie in der katholischen Kirche. Diese Normalos tragen auch ihre Vorstellungen vom „richtigen Sex und Fick“ hinein in unsere „Szene“ – dokumentiert in Profilen und Foren im Internet!

Ich bin dagegen, dass alle Männer, die irgendwo und irgendwie einen anderen Schwanz in die Hand nehmen, den „Schwanz blasen und ficken lassen“ (alles nur aktiv – wie der hier zitierte „Yugo“) als Schwule gezählt werden. Genauso irreführend sind die Zahlen über die angeblich 95 % Heterosexuellen in unserer Gesellschaft! Homosexuelle Handlungen sind ein integrierender Bestandteil der heterosexuellen Kultur. Und keiner wird zum Schwulen, nur weil er einen Anderen bläst oder sich etwa gar ficken lässt! (Das behaupten nur die Bibel und der Koran! Und die hatten nie eine Ahnung von so was! Und die „göttlich inspirierten“ Übersetzer nie eine Ahnung von orientalischer Männerkultur!)

Es ist auffällig, wie Heteros und Bisexuelle zum grossen Teil ihre homosexuellen Bedürfnisse „entsorgen“! Meistens dann, wenn die Freundin weg ist, sie sturmfrei haben (Chatbeobachtung), oder die Ehefrau in der Kur. Dann möchten sie oft nicht in die komfortablen Einrichtungen von Gays gehen, weil ihnen das dann irgendwie doch zu schwul ist. Ein grosser Teil der Kontakte findet an anonymen Orten statt, die von Schwulen schon längst nicht mehr so intensiv frequentiert werden, wie Parks, Autos, Waldstücke; und die neuen öffentlichen Toiletten eignen sich auch nicht mehr für gleichgeschlechtlichen Sex. Es gibt zum Beispiel auf einer Google-Map für Bern eine grosse Übersicht über alle Treffpunkte und Toiletten in Bern und auf dem Land rund herum (in einem Forum anonym gefunden), die laufend aktualisiert wird. Man kann hier feststellen, dass „die Gesellschaft“ die homosexuellen Handlungen generell eben noch immer ausgrenzt und diskriminiert. Sie aber wenigstens bei „ den Homosexuellen/Schwulen“ toleriert.

Ich möchte aber auch darauf hinweisen, dass diese homosexuelle „Welt“ nicht nur in den Köpfen von Heteros und Bisexuellen aus ihren realen Lebenszusammenhängen abgespaltet ist. Diese Welt wird ganz offensichtlich und heimlich um alle Mütter, die Freundinnen und Ehefrauen herum gelebt! Und dies ist sehr oft mit Stress gekoppelt. Dass 30 % von befragten Bisexuellen in Australien (eine ältere Umfrage) lieber sich selber umbringen würden, als ihren Frauen gegenüber offen zu sein, passt – wie Ihr mir hier vorwerfen könnt – ganz gut da hinein!

Wie kann ein Schwuler aber gegenüber „diesen Frauen“ einen Vorwurf erheben, wenn diese „armen Betrogenen“ (?) doch von all dem nichts wissen und sehen können (wollen!)? Lasst es mich hämisch repetieren: Auch Phimosen und stinkige Pimmel interessieren niefrauden! Und um das Glas vollzumachen: Schon Shere Hite hat in den 80er Jahren festgestellt, dass es die wenigsten Mütter überhaupt schaffen, ihren Töchtern von der Periode zu erzählen, bevor diese sie bekommen haben. Viele Mädchen (die sie immer jünger bekommen) glauben, sie würden verbluten und müssten sterben dabei. Doch offenbar wird die dadurch verursachte Traumatisierung als nicht so schädlich betrachtet, wie spätere sexuelle Uebergriffe.

Weil der Analfick im Zentrum der heterosexuellen Homosexualität steht, bildet sich um ihn herum Stress, eine unbegründete Höherbewertung und viele falsche Vorstellungen über die Rolle des Mannes beim Fick! Viele Heteros haben nach einigen Jahren Mühe mit der fast ausschliesslichen Missionarsstellung in ihren Ehen und Beziehungen. Ihre persönlich entwickelten Vorstellungen über Frauen und Mannsein waren ein wesentlicher Teil ihres Rollenspiels beim Sex. Doch diese legen sich mit der Zeit – dann eben gegen die hetero Realität an. Auch werden „andere Bedürfnisse“ von Männern im Zusammensein mit Frauen niemals befriedigt. Und Frauen, die etwa darauf Bezug nehmen und sich auf „homosexuelle“ Spiele mit ihren Männern einlassen, sind sehr selten. Weil, auch sie finden das da unten meist „grusig“.

Sehr viele Männer haben die Heterosexualität so sehr psychisch verinnerlicht, dass sie sich selber nur in der Rolle einer Frau gegenüber der Sexualität eines anderen Mannes sehen können. Die verschiedenen „Damenaccessoires“, die weitherum von Männern „getragen“ werden („Damenwäscheträger“), sind nur das Symptom einer verkorksten Identität und haben nichts mit Travestie oder Transsexualität zu tun. Wichtiger scheint mir deren innere Einstellung gegenüber anderen Männern und Homosexuellen zu sein. Dabei halte ich mich an die als „Fantasien“ und „Fetische“ definierten Erscheinungen und Verhaltensweisen von Männern „verschiedenster Orientierungen“.

Wobei ich immer mehr anzweifle, ob diese Orientierung/en (nach dem einen oder anderen, oder beiden Geschlechtern) wirklich vorwiegend und entscheidend sind, und nicht vielmehr Sexualpraktiken und sogenannte Fantasien und Fetische dieselben wie Dominosteine abgelöst haben.

Es könnte durchaus sein, dass die eigene fantasierte Rolle aus den heterosexuellen Realitäten viel wichtiger geworden ist, als ein Sexualpartner oder eine Sexualpartnerin als Person. Egal ob homo-, bi- oder heterosexuell praktiziert. Dass viele Heteros die Frauen weniger als reale Sexualpartner sehen, als vielmehr Trägerinnen ihrer eigenen irgendwie „erschaffenen“ Fantasien über Frauen, haben wir in den letzten 40 Jahren kritischer Reflexion – auch von Frauen – gelernt.

Die Veränderung der Männer ist aber viel unbeachteter und ohne das generelle Interesse der Gesellschaft und ihrer Einrichtungen erfolgt. Es ist zwar offensichtlich, dass mehr Männer (nicht nur Jüngere und dann wieder ab 50 Jahren) ihre homosexuellen Bedürfnisse (auch noch) befriedigen wollen, aber die Art und Weise, wie dies so verschraubt und verklemmt geschieht – trotz Emanzipation der Homosexuellen – ist bedenklich.

Vielleicht fällt mir als Schwuler die Egozentrik der Männer mehr auf als Anderen? Die Flucht in sogenannte Rollenspiele, die Verbreitung des Fetischs „Schuhe und Socken“, was auf eine passive Rolle schliessen lässt, und nicht zuletzt der neueste Trend, sich nicht nur Körperhaare, sondern auch gerade noch die Schamhaare abzurasieren. Diese Suche im typisch weiblichen Rollenverhalten zeigt sich nicht nur an Kleidern und Accessoires und an den trendig gestylten Frisuren! Auch hier ist anzumerken, dass dies nichts mit Travestie oder Transsexualität zu tun hat!

Es ist ein alter Hut, dass immer mehr sichtbar schöne Männer in der Gesellschaft auch die Männer nicht unberührt lassen können, nicht nur die Frauen. Aber es gibt inzwischen auch „neue Hüte“! Wie wirkt eine gewisse Art von selbstverständlicher Homosexualität auf alle diese verschiedenen Männer? Wie wirken die heterosexuell geprägten Vorstellungen von Penetration auf verschiedene Orientierungen und Psychen zurück. Wie setzen sich heterosexuelle Normen in der Homosexualität durch und wie wirken die heimlichen homosexuellen Erfahrungen auf Männer zurück, die als Heteros aufgewachsen und „sexualisiert“ (sozialisiert) worden sind?

Es zeigt sich eine verschärfte Auseinandersetzung mit Homosexualität im sogenannten Schutzalter. Auch hier ist es ein alter Hut, dass Schwule immer wieder berichteten, dass sie schon als Kinder und Schüler von sexuellen Kontakten mit älteren Jungs oder gar Männern geträumt oder fantasiert haben. Schon nur die offene Diskussion solcher Tatsachen hat heute in der hysterisierten Oeffentlichkeit scharfe Konsequenzen. So ähnlich kriminalisierend wie das Reden nur über Homosexualität vor 50-60 Jahren. Dabei stelle ich oft fest, dass schon alleine die Vorstellung von Homosexualität oder homosexuellen Kontakten in der Kindheit oder Jugend, von den heterosexuellen Normen geprägt wird und ein Junge sehr schnell zu einem „missbrauchten Kind“ – mit Bezug auf die allgemeine Situation der Mädchen gemacht wird.

Diese „Dramatisierung“ von Homosexualität im Kindes- und Jugendalter – weil Sexualität schliesslich den Erwachsenen vorbehalten, und nichts für Kinder ist – wird auch seine Wirkungen auf die Biografien anderer Knaben, Homosexuellen und Heterosexuellen haben! Ich denke jetzt wieder ganz scharf an Mütter, die weder Sexualität, noch eine mögliche homosexuelle Orientierung bei ihren Söhnen in den vergangenen Jahrzehnten gesehen haben, oder sehen woll(t)en. Ganz zu schweigen von den homosexuellen Neugierden oder Bedürfnissen aller Art, die sich eben nicht alle nur um den „erwachsenen Fick“ drehen. Die Penetration aber regiert die Vorstellungen der „erwachsenen“ sexuell Aktiven. Besonders blühen sie, wenn es sich um schwule Väter, oder gar Paare handelt. Frauen sind da weniger in der Diskussion, denn einer lesbischen Mutter kann heute kaum mehr ein Kind weggenommen werden und Frauen sind keine penetrative Bedrohung…

Das gibt mir jetzt die Brücke zur immer noch offenen Frage: „Wie werden wir Männer sexualisiert?“ Jeder Mann beginnt sein Leben mit einer Frau. Jede Frau auch. Aber das ist doch normal oder? Ja, für Heteros! 😛

Ich will hier nicht die Frage nach dem Hahn oder dem Ei diskutieren. Jedenfalls ist es wohl schwieriger, sich als Junge an einem (homophoben) Vater körperlich-sportlich und psychisch zu orientieren, als an der (homo-blinden) Mutter. Ich habe das selbst erlebt. Dabei war die Mutter nicht das eigentliche Problem. Die Brüder meines Vaters waren nicht gerade zimperlich mit mir, wenn ich bei ihnen in den Ferien war. Beim einen habe ich einmal meinen Cousin verführt und beim anderen war ich schlichtweg „kein richtiger Mann“, durch seine Ablehnung bekam ich Heimweh und weinte…

Die Homophobie von Vätern und Onkeln ist das eine. Der Heterror durch die Mütter das andere, was späteren Schwulen zu schaffen machen kann. Die Erforschung solcher Zusammenhänge steht ganz am Anfang. Und sie ist – genauso wie die Missbrauchsforschung bei Frauen – abhängig vom öffentlichen Interesse und der gesellschaftspolitischen Dramatisierung. (sh. Phil Langer: Beschädigte Identität, VS-Verlag 2009. Ueber Zusammenhänge zwischen Identität und sexuellem Risikoverhalten bei homo- und bisexuellen Männern)

Ficken, ficken, fallen lassen. Wir sind entsetzt über das Risikoverhalten vieler Männer, die mit Männern Sex haben. Aber nur Wenige sind bereit, sich über die Gründe dieses Verhaltens Gedanken zu machen. Und vor allem über die Rolle der heterosexuellen Kultur und deren Zwänge, die auf sie einwirken. Entweder ein grosser Ficker zu sein – bei Frauen und/oder Männern. Oder sich fallen zu lassen wie eine „Fickschlampe“, eine „Blashure“ und ein „Spermaschlucker“, wie sie in vielen Chats oder als Profile im Internet zu finden sind. Selbst wenn ein Teil davon „nur Phantasie ist, die ausgelebt“ wird, die Frage bleibt stehen, wie Männer auf solche Rollenvorstellungen in der Homosexualität kommen! Die Schwulenbewegung hat an ihrem historischen Anfang den Ausstieg aus all diesen Zwängen versprochen – die „Entheterosexualisierung“!

Die Homosexualität ist keine Krankheit mehr – seit vielen Jahren. Aber in den letzten Jahren haben sich so viele „Fetische“ – neben den traditionellen – entwickelt, dass ich nicht umhin komme, diese als Symptome zu begreifen – wie in der Zeichnung eines Kindes. Hinschauen und fragen ist das Mindeste. Noch besser wäre, (Homo)Sexualität vom Kindergarten (Situationen, Kontakte) bis ins Altersheim normal zu sehen – und besonders für Männer, die mit Männern Sex haben, sie dauernd zu thematisieren, um Selbstverantwortung zu fordern. Wir brauchten alle die Skandale nicht, aber unsere immer noch bürgerlich orientierte Gesellschaft hat kein Interesse an den realen Gründen, weil das System der Terror ist und stets neue Opfer produziert. Egal ob in Familien, hierarchischen Einrichtungen, städtischen Subkulturen, oder jetzt im Internet.

Peter Thommen60, Schwulenaktivist, Basel

Siehe auch meinen Essay von 1988:  Ist der Sex am Arsch?

oder von 2010: barebacking als indiz für eine gescheiterte emanzipation!

Über admin

*1950, Buchhändler, Schwulenaktivist, ARCADOS Archiv für schwule Studien
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