Ist es gut, wenn Schwule sich unter einen rosa „Pussyhat“ stellen?

Einige Schwule oder „Falschsexuelle“ haben sich dieses Jahr freudig der „Pussyhat“-Aktion angeschlossen und sich eine rosa Strickmütze mit zwei Ecken aufgesetzt, mit der sie am Tag der Frau auftreten wollen. Rosa ist die Farbe für Mädchen, wiewohl minu vor vielen Jahren einmal geschrieben hat, in Basel sei das anders gewesen!

Rosa war auch die Markierungsfarbe für Schwule im Konzentrationslager der Nationalsozialisten (1). Das aber dürften die Junghomos heute nicht mehr so genau wissen und – wollten es die Frauen je wissen?

Ich habe von Kathrin Küchler vor Jahren (LIBS*) gelernt, dass die Lesben bei den Frauen/Organisationen nicht unbedingt willkommen gewesen sind. Lesben waren in der Schwulenbewegung immer wieder dabei, als „Einzelmasgge“, wie in Basel gesagt würde. Ich habe es noch erlebt, wie an einer der ersten HACH*-Versammlungen in Zürich die Lesben unter Protest die Konferenz verlassen haben. Und nach 40 Jahren ist die LOS* auch wieder aus gemeinsamen Räumlichkeiten mit Pink Cross ausgezogen.

Wir Schwulen sind in den letzten paar Jahren immer wieder für Solidarität mit anderen Gruppen angegangen worden. (LGBTI….) Aber die Frauen – quasi als historisch einzige Alternative zur Männlichkeit – sind nie für sowas mit Schwulen angefragt worden. Es gab meines Wissens auch nie eine Diskussion mit den Frauen darüber. Ich habe als Jungschwuler nur mitbekommen, dass Frauen „unsere Verbündeten“ seien im Kampf! Meine Lebenserfahrungen haben das Schritt für Schritt wieder relativiert. Die ersten Schwulendemos 1972ff in der Bundesrepublik Deutschland predigten damals „die Befreiung der Frau im Mann“.

Logisch ist es politisch vernünftig, „das Weibliche“ in der Gesellschaft vor Diskriminierung und Abwertung zu verteidigen! Aber bekommen wir von dort jemals etwas „zurück“? In der Diskussion um den Frauentag geht es auch immer wieder um die Gewalt gegen Frauen. Nur ist dann dies die Gewalt des Schweigens, die sehr oft bei sexuell motivierter Gewalt auf homosexuelle Söhne und auch Töchter in- und ausserhalb der heterosexuellen Familie eine grosse Rolle spielt. (2) Nach meiner begrenzten Erfahrung entziehen sich Frauen am liebsten den Diskussionen um die Homosexualität und sind auch nur schwer von gesellschaftlichen Parallelen zu überzeugen (3) Ich habe als Jungschwuler noch gelernt, dass nicht die Väter die Gefährlichen sind in der heterosexuellen Familie – es sind die auf ihre Söhne eifersüchtigen Mütter!

Kehren wir zurück auf die gesellschaftliche Ebene. Nach den Schwulen und den Lesben als „bewegte Minderheiten“ (oder auch umgekehrt!) 😉 kamen die Bisexuellen und Transmenschen dazu. So erweiterte sich in den letzten Jahrzehnten die Minderheit um weitere Buchstaben… Alle diese Buchstaben-Menschen stellen eine selbstverständliche Forderung an Schwule um Solidarität.

Alle diejenigen „Minderheiten“, die also von Frauen geboren worden sind und dann weggeschoben wurden, hängen jetzt an den Schwulen – und von mir aus auch an den Lesben. Denn eigentlich wäre es von allem Weltanfang Sache der Eltern gewesen, sich um JEDES Stück Fleisch und seine Lebensaussichten zu kümmern, egal ob es „behindert“ oder „krank“ oder irgendwie falschsexuell ist. Und jetzt sollen die Schwulen – mit allen Buchstabenmenschen – die quasi diesen „Abschaum aufgenommen haben“, mit Frauen solidarisch sein!?

Aber wollen das denn die Frauen auch? Oder wen von den Buchstabenmenschen wollen sie und wen wollen sie partout nicht – und warum? Gibt es Solidarität nur mit den „gebürtigen Frauen“ oder auch mit „feminisierten“ oder transsexuellierten Männern, oder nur mit denen, die „richtig unter dem Messer umgewandelt“ worden sind? Fragen über Fragen, die keineR stellt im Enthusiasmus der politischen Solidarität! Wenn schon Schwule Mühe bekunden, andere Buchstabenmenschen zu verstehen und sich mit ihnen zu solidarisieren, wie diese es ganz heftig wünschen, haben dann Frauen keine Probleme mit der „aufgedrängten Solidarität“ von Schwulen mit Anhang?

Von anderen Hautfarben und Ethnien gar nicht zu schreiben. Ich will daran erinnern, dass zurzeit der „bekämpfteste Bock“ im Sexismus, der heterosexuelle/Cis-sexuelle weisse Mann ist. Aber gibt es die gleichen Probleme nicht auch mit den hetero Böcken in den verschiedenen Hautfarben? (Und sind das in Sexualität und Politik nicht auch die begehrtesten/gewähltesten?)

Schon Hugo Loetscher hat übrigens darauf hingewiesen, dass unter den farbigen Menschen in deren Kultur immer diejenigen als „Wertvorbild“ dienen, die am „hellsten gefärbt“ seien.

Ich will keiner Entsolidarisierung irgendwelcher Art hier nach dem Mund schreiben. Aber in Bezug auf James Baldwin und seinen neuesten biografischen Film sage ich: Ich bin nicht Euer Schwulo! (4)

Peter Thommen_67, Schwulenaktivist

P. S. „Wenn es etwas gibt, was Heteros stört, dann ist es vielleicht nicht so sehr der Akt, sondern dass sie darüber nachdenken sollen.“ Egbert Hörmann: Hurra ein Junge! 1997, S. 14

Bei einer Fifa-Podiumsdiskussion in Zürich (2017) wurde Thomas Hitzlsperger etwas wichtiges gefragt. Ob es nötig sei, dass man aufstehst und über seine homosexuelle Orientierung redet, wollte Clarence Seedorf wissen. Er sehe keine Heterosexuellen, die das machen: «Warum ist es etwas, über das man reden muss?»

* HACH Homosexuelle Arbeitsgruppen der Schweiz (1974-1995, sh. schwulengeschichte.ch!)

LIBS (Lesbische Initiative Basel)   /   LOS (Lesben Organisation Schweiz)

1 Ich bevorzuge das ausgeschriebene Wort. Die Polizei verwendet übrigens zum Teil bis heute auch die Abkürzung „Homo“.  /  2 siehe auch meinen Text zum Frauentag vom 8. März 2011! und über Frauen und Schwänze aus 2012!  /  3 Claudia Müller: Mein Sohn liebt Männer (Buchbesprechung)  /  4 „I Am Not Your Negro!“

Über admin

*1950, Buchhändler, Schwulenaktivist, ARCADOS Archiv für schwule Studien
Dieser Beitrag wurde unter Geschichte, Schwulenpolitik, Sexismus abgelegt und mit , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.