HETEROSEX – wie funktioniert’s?

Als junger Schwuler war mir bald klar geworden, dass ich die Heteros verstehen müsste, um ihrer Diskriminierung wirksam entgegentreten zu können. Nun, ich war quasi jahrzehntelang damit beschäftigt, meine Homosexualität so zum Funktionieren zu bringen,  dass sie mir nicht schadet und ich war in der dauernden Gegenwehr zur Zwangsheterosexualisierung blockiert! Jetzt ist die Zeit gekommen, um die Heterosexualität genauso zu hinterfragen, wie diese  schon immer mit der Homosexualität betrieben wurde.

Die Heterosexualität versucht, sich erstmal über die Fortpflanzung zu erklären. Nun, heute sind wohl Wenige nur noch damit beschäftigt, sich andauernd fortzupflanzen … Interessanter wird es, die Theorien fürs heterosexuelle Zusammenleben zu betrachten. Da gibt es

1. Die biologische Theorie (weitere folgen):  Der Psychoanalytiker Fritz Morgenthaler (1919-1984) hat eine interessante Theorie über die sexuelle Orientierung vorgelegt: Danach spielt das Bewusstsein der Trennung vom mütterlichen Körper, das erst einige Zeit nach der Geburt entsteht, die entscheidende Rolle. Die einen finden sich damit ab und suchen immer wieder einen mütterlichen Körper, die anderen entwickeln Autonomie und „verschaffen sich ihre Lustgefühle selbst. Diese Säuglinge belegen die eigene Person, das eigene Geschlecht mit sexuellen Gefühlen.“ (zit. n. Braun/Martin: Gemischte Gefühle. Ein Lesebuch zur sexuellen Orientierung, Rowohlt TB 2000, S. 21-22) Interessant in diesem Zusammenhang auch:  Deborah Blum: Die Entdeckung der Mutterliebe. Die legendären Affenexperimente des Harry Harlow, Beltz 2010, 350 S. (engl. „The Science of Affection“) 

2. Die psychoanalytischen Theorie:  Zentral ist die „Ödipustheorie“, die von Sigmund Freud formuliert wurde. Freud war zwar davon überzeugt, dass eine homosexuelle Orientierung genau so normal sein kann wie eine heterosexuelle. Aber das funktioniert nicht nach seiner Theorie. Vielleicht war er darum so vorsichtig und äusserte sich nur selten zur Homo-Frage. Sein „Ödipus-Komplex“ ist eigentlich verkehrt definiert, denn die Sexualisierung der Kinder geht von den Eltern aus…

Es gilt jetzt, das als den „heterosexuellen Familienkomplex“ neu zu beschreiben, zu formulieren und in der Praxis anzuwenden.

Das heterosexuelle Verhältnis ist ein Abgrenzungserlebnis zwischen den Geschlechtern, wenngleich es eine „biologische Vereinigung“ praktiziert. Dies ja nur im Hinblick auf die Fortpflanzung. Die Abgrenzung findet über die Identität statt: Die Penetration bestätigt die Verschiedenheit, die sich in der Geschlechtsrolle fixiert und sozial auswirkt. Denn was er penetriert, möchte er niemals sein und sie möchte durch Penetration den Status erlangen, den ihr Penetrierer hat…

Judith Butler sagt über die Heterosexualisierung in der Fortpflanzungs-gemeinschaft sehr prägnant:

„Die Heterosexualität wird durch Verbote herangezüchtet, und eines der Objekte dieser Verbote sind homosexuelle Verhaftungen*, deren Verlust damit erzwungen wird.“ (Sie meint hs Strebungen und Wünsche, die verboten werden, PT)  

„Wenn das Mädchen seine Liebe vom Vater auf ein Ersatzobjekt übertragen soll, dann muss es nach Freud’scher Logik zunächst der Liebe zur Mutter entsagen, und zwar so, dass sowohl Ziel wie Objekt dieser Liebe ausgeschlossen werden. Sie darf diese homosexuelle Liebe nicht auf eine weibliche Ersatzfigur übertragen, sondern muss der Möglichkeit einer homosexuellen Verhaftung überhaupt entsagen. Nur unter dieser Bedingung erhält sie ein heterosexuelles Ziel als – wie manche das nennen – sexuelle Orientierung. Nur unter der Bedingung dieses Ausschlusses der Homosexualität können der Vater und Ersatzfiguren für diesen, zu Objekten des Begehrens werden und kann die Mutter zu einer unbehaglichen Identifizierung dienen.

Im Rahmen dieser Logik ein Mann zu werden,  erfordert die Abweisung der Weiblichkeit als Vorbedingung für die Heterosexualisierung des sexuellen Begehrens und seiner grundlegenden Abivalenz. (Zweideutigkeit, PT) Wenn ein Mann durch Verwerfung des Weiblichen heterosexuell wird, wo kann diese Verwerfung leben, wenn nicht in einer Identifizierung, die seinen heterosexuellen Werdegang abzuleugnen versucht? Das Verlangen nach dem Weiblichen ist in der Tat durch diese Verwerfung gekennzeichnet: Er will diese Frau, die er niemals sein würde. Um keinen Preis würde er als die Frau dastehen wollen, und deshalb will er sie. Sie ist seine verworfene Identifizierung (eine Verwerfung, die ihm zugleich Identifizierung und Objekt des Begehrens ist).“ (Melancholisches Geschlecht/Verweigerte Identifizierung, in: Psyche der Macht. Das Subjekt der Unterwerfung, Suhrkamp es 1744, 2001, S. 129 – sh. auch S. 130!)

3. Eine „religiöse Theorie“: „Ein Geistlicher der sunnitischen Gruppe Nahdlatul Ulama erklärte,  dass die vorherrschende heterosexuelle Welt aus gesellschaftlichen Gründen von Menschen künstlich geschaffen wurde und mit der Religion nichts zu tun habe: „Wie das Geschlecht oder die Vorherrschaft der Männer, ist auch Heterosexualität ein soziales Konstrukt. Dies hat dazu geführt, dass die Mehrheit Homosexalität verboten hat“, so der Geistliche Nurofiah.“  (auf einer Konferenz in Jakarta, 2009 – queer.de)

4. Heterosexuelle Techniken  Zitat:  „Was sagt Ihnen eine Maschine wie der mechanisch ruckelnde „Thrillhammer“  (nicht jugendfrei!) über männliche Sexualität? Ich habe den Typen, der den Thrillhammer entworfen hat, gefragt, wer das Ding kauft. Interessanterweise wird das Gerät fast ausschließlich dafür benutzt, Pornofilme herzustellen – für Männer, die gerne Frauen beim Sex anschauen, denen es aber unangenehm ist, gleichzeitig nackte Männer zu sehen. Sagt das Gerät nicht auch etwas über die Vorstellungen, die sich Männer von weiblicher Sexualität machen? Der Thrillhammer hat jedenfalls keinen Stimulator für die Klitoris. All diese Geräte deuten auf eine ziemlich große Naivität hin, was die Vorstellung von weiblicher Lust angeht. “  (Mary Roach in einem Interview mit der FR-online, 19.2.2009

Ich denke, dass der Prozess der Idenfitikation mit der Mutter, der nie abgebrochen wurde und auch bei Freundinnen und Ehefrauen noch wirkt, soviel Aneigung psychischer „Weiblichkeit“ ergibt, dass sie es für Männer ermöglicht, sich knapp noch als „psychische Frau“ mit anderen Frauen zu identifizieren. Das würde die relativ häufige Fetischisierung, Travestierung und Transsexuellisierung des Weiblichen einsichtig machen. Wobei auffällt, dass die realen „Formen“ auch völlig irreale Vorstellungen über das Frauendasein erkennen lassen.

Ich habe mich in der Kindheit auch in die Schullehrerinnen „verliebt“, aber daneben viel stärkere Gefühle für meine Mitschüler gehabt…

Statt über „homosexuelle“ Milieus zu lästern oder zu klagen, sollte einmal das „heterosexuelle“ Milieu kritisch betrachtet werden! Hier wimmelt es von sexuellen Missverständnissen und Mehrdeutigkeiten….

Es ist übrigens auch vielen Männern unangenehm, wenn Frauen behaart sind. Es ist ihnen einfach „zu schwul“! 😉

Wie Angst vor Homosexualität funktioniert

Wienfort, Ehe ihre Geschichte seit 200 Jahren, Buchtipp (neuer Link aufs Buch)

Thommen: Welche Mehrheit darfs denn sein?

(hier der richtige Link zu „soweit muss Frau gar nicht suchen“!)

Ilka Quindeau: Wie wird man heterosexuell?  hrsg. von Jan Feddersen

In biologistischer Sichtweise werden Geschlecht und Sexualität miteinander verknüpft. Es gibt männliche und weibliche Sexualität, egal ob homo oder hetero. Ilka Quindeau stellt diese Festlegungen in einem originellen Rückgriff auf Freud in Frage. Sie entwickelt ein Konzept von Bisexualität, die nicht nur in der Richtung des Begehrens offen ist, sondern auch im eigenen Empfinden nicht auf „männlich“ oder „weiblich“ festgelegt ist. Lustempfinden und Begehren sind demnach nicht einseitig im Körper verwurzelt, sondern bilden sich als Antwort, als Reaktion auf das heraus, was ihm von außen Befriedi gung bereitet.

Ilka Quindeau ist Professorin für Klinische Psychologie und Psychoanalyse an der FHS Frankfurt. (kart. 48 S. ISBN 978-3-939542-85-8)

Lieben – lernen?