Das Bundesverwaltungsgericht und die Homosexualität

Anfang dieses Jahres wurde das Asylgesuch eines homosexuellen Iraners vom Bundesverwaltungsgericht in SG zurückgewiesen. Er wurde zur Rückreise in sein Land „verurteilt“. (Das BVGer ist die höchste Instanz für Verwaltungsentscheidungen unter dem Bundesgericht) Dem Asylsuchenden wird der Besitz von 75 g Heroin zur Last gelegt. (Entscheid) (Übersicht der Rechtslage in diesem Asylverfahren bei humanrights.ch)

Ich möchte mich hier auf den „Umgang des Bundesverwaltungsgerichtes“ mit der Homosexualität konzentrieren. Sie ist historisch im Strafrecht zu verorten und dort nur als Handlung zwischen Männern oder zwischen Frauen. Dies mag auch ein wesentlicher Grund sein, warum das „Schutzalter“ für diese Handlungen von 1942 an bis in die 80er Jahre* bei 20 und nicht wie bei heterosexuellen Handlungen bei 16 lag und dies offenbar vom Bundesgericht in Lausanne auch gestützt wurde (sh. unten: BGE 70 IV 166 und BGE 85 IV 223). Aber spätestens bei der Ratifizierung (1974) der Europäischen Menschenrechtskonvention hätte die Rechtsprechung eigentlich angeglichen werden sollen (auch in der BRD, und in Österreich bis heute übrigens!). Aber genauso wie sich die Wirtschaft seit Jahrzehnten nicht um den Verfassungsartikel kümmert, der die gleiche Lohnzahlung für gleiche Arbeit bei Männern und Frauen verlangt, so ist die praktizierte Politik mit Rechtsgütern, dem politischen Opportunismus ausgeliefert. Dabei fällt mir auch die „Instandstellungspauschale“ nach Verlassen einer Wohnung ein, die von den Vermietern über Jahrzehnte eingefordert worden ist, bis jemand mal soweit ging, das Bundesgericht anzurufen (1981). Dieses entschied dann eine Rückzahlung bis auf 5 Jahre zurück…

Es ist hier die Gelegenheit, Schwulen und auch Lesben übrigens, in Erinnerung zu rufen, dass erreichte Rechtsstände weiterhin verteidigt, oder gar ausgebaut werden müssen – mit politischen Mitteln notabene! Dabei geht es nicht nur um die Angleichung des Adoptionsrechtes und anderer zivilrechtlicher Ansprüche. Was das sogenannte Schutzalter betrifft, so wurden durch das neue Strafgesetz ab 1942 einige kantonale Schutzalter dabei erhöht**! Auch das sei zur Erinnerung aller „Schutzbeflissenen“ hier wieder in Erinnerung gerufen!

Doch kehren wir zur aktuellen „Gleichbehandlung von Homosexualität“ durch Gerichte zurück. In die Verfassung (2000) ist die Schutzwürdigkeit einer sogenannten „homosexuellen Orientierung“ nicht gerutscht. Zu nahe war das Strafgesetz, von dem natürlich auch Heterosexuelle betroffen sind. Wir Schwulen vergessen immer wieder, dass schon in der Bibel (Lauritzen: Religiöse Wurzeln des Tabus der Homosexualität, Frühlingserwachen 1983/engl. 1974) von den Männern und Frauen die Rede ist, welche „den natürlichen Geschlechtsverkehr verlassen haben“…

Wir sollten also nicht nur lernen, dass heutzutage die Mehrheit der homosexuellen Akte von Menschen „begangen“ werden, die nicht homosexuell orientiert sind, sondern in heterosexuellen Ehen leben, oder sich selbst als „heterosexuell“ definieren. Wir sollten auch realisieren, dass die Ideologie des „Heterrors“ vor allem auch diese „vor Abweichungen schützen muss“! Das ist der Schwulenbewegung und den Einzelnen viel zu wenig klar. Das geht mir selbst genauso, wenn ich erst jetzt die detaillierte rechtliche Entwicklung genauer betrachte! (siehe unten BGE 88 IV 65)

Es ist interessant, wo das relativ neue Bundesverwaltungsgericht in Sankt Gallen in dieser Thematik steckt. Man könnte annehmen, dass die gesellschaftlichen Veränderungen auch in diesen Amtsstuben angekommen sein müssten. Als ich den Entscheid-Text las (siehe Link oben!) bin ich allerdings über folgende Formulierung gestolpert:

„In der Praxis wird Homosexualität von den Behörden im Alltag demnach geduldet, wenn sie nicht in einer möglicherweise Anstoss erregenden Art öffentlich zur Schau gestellt wird.“ (Begründung Punkt 8, Antonio Imoberdorf, vorsitzender Richter, Daniel Grimm, Gerichtsschreiber)

Bei einer solchen Formulierung kann wohl nicht von einer „homosexuellen Orientierung“ als bekannter und akzeptierter Begrifflichkeit bei dem Gericht ausgegangen werden.

Ich versuche mir gerade vorzustellen, wie denn eine Heterosexualität in einer möglicherweise Anstoss erregenden Art öffentlich zur Schau gestellt werden könnte…  (vielleicht die Prinzen-Hochzeit in England!)

Abgesehen von der Praxis- und Rechtsferne des Bundesverwaltungsgerichtes in Bezug auf den Iran, stellt nun Axel Schubert von der HABS richtig fest: „Sich dauerhaft zu verleugnen, wird nicht nur als erniedrigende Behandlung ganz real erfahren, es macht auch krank. Doch Verleugnung zu fordern, zeugt von der Unkenntnis des Gerichts, wie sich Diskriminierung aufgrund eines unveräusserlichen Teils der eigenen Identität anfühlt.“ (PrMit HABS vom 16.02.2011, PDF)  (siehe unten BGE 88 IV 65)

Handkehrum muss ich nun an die Burka und ähnliche Kleidungsstücke denken, die bei Frauen doch als wesentliches Element, entweder der weiblichen Identität, oder grad des Gegenteils davon rechtlich verstanden werden kann! Aber diese sind natürlich – rechtlich gesehen – Gegenstände, die frau einfach überziehen oder wegnehmen kann. Desgleichen gilt auch für die Homosexualität, wenn sie eben nicht als sexuelle Identität verstanden wird, sondern nur als eine – mehr oder weniger strafbare, „Alltagshandlung“, oder eben „temporäre Verkleidung“.

Aber so wie Frauen ihre Würde mittels eines Kleidungsstückes erlangen oder verlieren können, so können auch Heterosexuelle ihre Homosexualität erleben oder Abstand davon nehmen. Der Vergleich hinkt natürlich, weil das eine materiell-sichtbar ist, und das Andere sich nicht mal an einer äusserlichen einzelnen Handlung festmachen lässt.

Daher denke ich, dass wir uns weiterhin mit dem Kampf um Erweiterung der sexuellen Handlungsfreiheit begnügen müssen, auch wenn das Gesetz zur ePartnerschaft nahe legt, dass es auch eine fest zu verortende homosexuelle Orientierung geben müsste. Aber dieses Gesetz können auch Menschen unterzeichnen, die keine homosexuelle Orientierung haben. Genauso wie bei der „heterosexuellen“ Ehe! Rechtsverbindlich kann eben immer nur die äussere Form sein. Das vergessen auch viele heterosexuelle PartnerInnen homosexuell aktiver Menschen. Da sind ihnen wohl Schwule einen Schritt voraus! 😉

Peter Thommen_61, Schwulenaktivist, Basel

* Politische Opportunität liess dann die kantonalen Gerichte, schon vor Einführung der Revision 1992, dann von Anklageerhebungen absehen, wenn die Beteiligten alle 16 Jahre oder älter waren.

* *Das allgemeine Schutzalter liegt zwischen 12 und 16 Jahren, einige Kantone kannten es gar nicht, andere nannten „Mannbarkeit“. (Schüle, Hannes: Die Entstehung des Homosexualitäts-Artikels…, 1983)

Siehe auch: „Dass die Ihre Organisation besonders interessierenden Bestimmungen des Art. 194 StGB revisionsbedürftig sind, liegt auf der Hand. Art und Umfang der Revision hängen entscheidend von den Ergebnissen des Vernehmlassungsverfahrens und den Beratungen im Parlament ab. Im Falle des Referendums wird das Volk zu entscheiden haben.“ (Aus dem Brief des Eidg. Justiz- und Polizeidepartementes vom 26. November 1980 an die Schweizerische Organisation der Homophilen, Zürich – Dr. B. Schneider, Generalsekretär)

Neuester BGE * betreffend die Ehrenrührigkeit der Zuschreibung/Ver-leumdung von Homosexualität: „Dem Beschwerdeführer ist beizupflichten, dass es nicht per se ehrenrührig ist, einen Menschen als homosexuell zu bezeichnen, da Homosexualität weder unsittlich noch unethisch ist. Zugleich ist aber festzuhalten, dass auch bei einer solchen Äusserung eine Ehrverletzung gemäss Art. 173 ff. StGB nicht immer ausgeschlossen werden kann. Davon geht ebenso die Vorinstanz aus. Ihres Erachtens kommt es für die Beantwortung der Frage, ob die Äusserung, jemand sei homosexuell, ehrverletzend sei, auf das soziale Umfeld des Betroffenen und der Adressaten der Äusserung an.“  …   „Ebenso beinhaltet die Aussage, dass ein Jugendleiter homosexuell sei, nicht, dass er pädosexuelle Neigungen habe.“ (BGE 6B_983/2010, 19. April 2011, Strafrechtliche Abteilung)

Bei der anhaltenden Pädo-Hysterie ist das eine typische Beurteilung aus dem Elfenbeinturm! P. Th. (*auch Suche beim BGer unter Homosexualität, April 2011 möglich)

2011 „Die Stadt Moskau war vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg im vergangenen Jahr zu einer Geldstrafe verurteilt worden, weil sie Homosexuellen Kundgebungen verboten hatte. In diesem Jahr berief sich die Stadtverwaltung auf internationale Konventionen zum Kinderschutz. Es bestehe die Gefahr, dass Kinder beim Anblick von Homosexuellen traumatisiert würden, zitierte Schwulenverbandschef Nikolai Alexejew aus dem Schreiben der Behörde. Er will dennoch für diesen Samstag eine Kundgebung für die Rechte von Schwulen und Lesben organisieren. (dpa)

2011 Vorwürfe wegen „Pädophilie“ gegen Politiker in Irland

 

 

oben zitierte Bundesgerichts-Entscheide: BGE 70 IV 166 (29.9.44): „Ganz abgesehen davon ist widernatürliche Unzucht sittlich verwerflich, auch wenn sie nicht strafbar ist.“ (Zitat auf S. 166, Entscheid ab S. 163)

BGE 85 IV 223: „Das Gesetz fasst die widernatürliche Unzucht als etwas grundsätzlich anderes auf als den Geschlechtsverkehr zwischen Mann und Frau; es erachtet die Gefahren, die für einen jungen Menschen mit der widernatürlichen Unzucht verbunden sind, in gewissem Sinne als grösser und hat entsprechend das Schutzalter höher angesetzt.“

BGE 88 IV 65: „An der bisherigen Rechtsprechung ist daher festzuhalten. Von ihr abzuweichen, besteht umso weniger Anlass, als die Gefahr, dass Jugendliche in das Treiben Homosexueller hineingezogen werden, seit Erlass des Gesetzes zugenommen hat.“

(Die BGE wurden zitiert aus: HAZinfo, März 1975)

Anmerkung: Es ist hier ausschliesslich von Tätern und auf diese bezogen von männlichen Jugendlichen die Rede, sonst ginge es ja nicht um Homosexualität! Für die weibliche Variante interessierte sich keineR¨;)

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*1950, Buchhändler, Schwulenaktivist, ARCADOS Archiv für schwule Studien
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