Muttertag – Sohnesmütter

durch die rosa Brille geguckt! 😉

Mütter und ihre Söhne, statt Söhne und ihre Mütter!

Kürzlich traf ich einen jungen Mann gegen die 30ig, den ich schon lange nicht mehr gesehen habe. Mir fiel auf, dass er ziemlich abgemagert ist und auch ein wenig „verschrumpelt“. Nach zwei drei Worten gestand er mir, dass seine Mutter vor drei Monaten gestorben sei. Ich weiss aus seiner Biografie, dass er vor Jahren eine „Klemmschwester“ war…

Bei dieser Gelegenheit und dem Nachdenken darüber wurde mir wieder einmal bewusst, wie sehr wir auf Täter und Väter fixiert sind und an den Frauen, Müttern und Täterinnen vorbeischauen. Sie sind kulturell der Opfer-Rolle zugeteilt. Wann immer ein Mann einer Frau etwas antut, „tut er es, weil er ein Mann ist“. Wann immer eine Frau einem Mann etwas antut, hat sie vorher „bestimmt Probleme gehabt“. Wann immer ein Sohn leidet und nicht von seiner Mutter los kommt, fällt die Definition über ihn: Er ist ein „Muttersöhnchen“.

Als Schwuler habe ich gelernt, dass Frauen und Mütter erstmal „nichts tun“ und doch sehr tatkräftig im Leben von Kindern mitwirken. Aber fürs Nichtstun kann keine bestraft werden. Die meisten Mütter merken es, wenn ihre Söhne sich homosexuell orientieren. Aber sie sagen nichts. Viele Frauen glauben, was nicht gesagt wird, ist nicht existent. Vielleicht gemäss ihrer Fremddefinition durch die Männer. Frauen waren ja immer nur „mitgemeint“ mit den männlichen Bezeichnungen…

Während es durchaus auch Frauen gibt, die – vor allem als Alleinerziehende – ihre Unterwäsche und Dessous in der Wohnung herumliegen lassen, damit ihr Sohn „nicht schwul wird“, gibt es auch nicht wenige Frauen, die ihre Söhne mehr oder weniger als Liebhaber missbrauchen. Ganz sanft und natürlich ohne offensichtlich sexuelle Bedeutung.

Sigmund Freud hat die Theorie aufgestellt, dass in der heterosexuellen Familie, die Söhne ihre Mütter, und die Töchter ihre Väter begehren würden. Die vereinzelt bekannt gewordenen Fakten und die grosse Diskussion um den „sexuellen Missbrauch“ herum, hat sichtbar gemacht, dass Freud entweder irrte, oder ver-wirrte! Wenn Väter ihre Töchter sexuell missbrauchen, dann können das auch Mütter mit ihren Söhnen tun. Nur weil sie keinen Penis haben (über den ja immer noch weitgehend „richtiger Sex“ definiert wird), schliesst das eine mögliche Täterschaft nicht aus. Ja eigentlich müssten wir das Strafgesetz um-schreiben, weil es eigentlich immer nur von Tätern handelt, aber selten auch von Täterinnen…

In der heterosexuellen Familie werden also die Kinder gegengeschlechtlich sexualisiert. So wird die Heterosexualität auch in zukünftige Generationen weiter tradiert. Dass da Mütter mit schwulen Söhnen Probleme damit haben, statt – wie vielfach behauptet Verständnis – liegt doch auf der Hand. Ein Bekannter von mir erzählte mir kürzlich, dass er in Griechenland beobachtet habe, dass Mütter den Kopf ihrer kleinen Söhne meistens an die Schamgegend nehmen, um sie wirksam zu trösten. Diese gewöhnen sich dann auch an „den Geruch“. Wenn es übertrieben ist, enthält es sicher doch einen Kern Wahrheit.

Ich will jetzt keine Beispiele von Muttersöhnchen aufführen, sondern mal die übliche Betrachtungsweise umkehren! Heterosexuelle Mütter wollen von den Söhnen, die sie geboren haben, auch geliebt, ja begehrt werden. Sonst gibt es grosse Enttäuschungen. Bestraft wird nicht mit einem Penis, sondern mit Liebesentzug. Das schlechte Gewissen beim Sohn wird unmerklich aufgebaut. Die Vorwürfe sind selten offen ausgesprochen, sie werden dem Opfer „signalisiert“. Die nonverbale Kommunikation zwischen Männern und Frauen ist DAS grosse Problem der Heterosexuellen. Also kann es auch gegenüber Söhnen aktiv-wirksam eingesetzt werden!

Eine Mutter kann ihren Sohn auch durch Gewährenlassen abhängig machen. Nicht sexuell. Aber bei Geldangelegenheiten, Gefühlsbedürfnissen und Drogensucht als aktueller Faktor. Wir erinnern uns vielleicht noch der bösen Stiefmutter aus den Märchen. Aber in diesen Fällen war die Manipulation wohl so stark, dass sie niemannd mehr übersehen konnte!

Der Psychiater Fritz Morgenthaler (1919-1984) hat eine interessante Theorie über die sexuelle Orientierung vorgelegt: Danach spielt das Bewusstsein der Trennung vom mütterlichen Körper, das erst einige Zeit nach der Geburt entsteht, die entscheidende Rolle. Die einen finden sich damit ab und suchen immer wieder einen mütterlichen Körper, die anderen entwickeln Autonomie und „verschaffen sich ihre Lustgefühle selbst. Diese Säuglinge belegen die eigene Person, das eigene Geschlecht mit sexuellen Gefühlen.“ (zit. n. Braun/Martin: Gemischte Gefühle. Ein Lesebuch zur sexuellen Orientierung, Rowohlt TB 2000, S. 21-22)

In einem psycho-historischen Text habe ich einmal gelesen, dass in früheren Zeiten den Müttern die Söhne ab dem 7. Lebensjahr weggenommen worden sind, „damit sie richtige Männer werden konnten.“ In der islamischen Kultur werden Jungen zwischen 7 und 14 Jahren beschnitten. Die Beschneidung der Mädchen wird übrigens von Frauen/Müttern ausgeführt. Diese ist vorislamischer Herkunft und darf als symbolische Herrschaft/Frauschaft über die kommenden Generationen verstanden werden.

In einem Film über die Geschlechtsanpassung eines Partners in einer homosexuellen Beziehung im Iran, erfuhr ich folgendes Erstaunliches. Nachdem also der Sohn einer Mutter operativ zu einer Frau geworden war, änderte diese ihr Verhältnis zur „neuen Tochter“ völlig. Sie konnte nun Mutter-Tochter-Gespräche mit ihm führen, da sie ihn ja nicht mehr an eine andere Frau hergeben müsse. Das sei bei Söhnen nicht möglich. Allerdings zog sich dann der schwule Partner zurück, weil er ja das gewünschte Geschlechtsorgan nicht mehr vorfinden konnte. Für Schwule eine logische Konsequenz. Für den iranischen Staat aber, der das ganze noch finanziert, um die Mann-Frau-Konstellation zwingend herzustellen, völlig uninteressant.

(Interessant für mich war, dass Mütter im Iran, ihr Verhältnis eher distanziert halten zu ihren Söhnen, im Gegensatz zu den unsrigen. Und natürlich wird ein Mann nicht so schnell zur „Tochter“ mit einer körperlichen Operation.)

Für das heterosexuelle Spiel braucht es die entsprechenden Körperformen. Das muss genügen… So können wir vielleicht erahnen, dass homosexuelle Beziehungen (anders als Kontakte und flüchtige Erlebnisse) wohl anders aufgebaut werden als die heterosexuellen Beziehungen.

Und wir sollten nicht nur ein besonderes Auge darauf haben, was Väter „antun“. Auch was Frauen und Mütter unterlassen oder verschweigen, kann ähnlich verheerend sein.

Peter Thommen, Schwulenaktivist, Basel (61)

 

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*1950, Buchhändler, Schwulenaktivist, ARCADOS Archiv für schwule Studien
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