weihnachten als pädophiles ritual

Wer jetzt ein theologisches Essay über eine Tradition erwartet, die übrigens erfunden worden ist, braucht diesen Text nicht zu lesen. Nur soviel: Den Urchristen waren Karfreitag, Ostern und Pfingsten wichtig (wozu ich schwule Sichtweisen geschrieben habe) – aber nicht Weihnachten. Dass Jesus ja auch geboren worden ist, kam der Kirche dann viel später in den Sinn…

Ich habe grad kürzlich ein Aufklärungsbuch für junge Schwule gelesen, sowie einen Roman über das coming out eines schwulen Teenagers. In beiden Büchern wurde darauf Bezug genommen, dass „irgendwann“ „die Hormone verrückt“ spielen würden. Damit wird allgemein akzeptiert, dass die Natur Jugendliche „von selbst sexualisiert“ und wir dies dann „zu gegebener Zeit“ irgendwie zur Kenntnis nehmen müssten. So ein furchtbarer Biologismus ist mit den heutigen wissenschaftlichen Erkenntnissen schon unerträglich. Ganz zu schweigen davon, wer alles immer genau weiss, wann Kinder und Jugendliche „Sexualität“ haben.

Aber wir kommen dem Thema langsam näher. Pädophilie bedeutet Kinderliebe. Also die reine, emotionale Zuwendung zum Kind. Ausgelöst durch bestimmte visuelle Reize, die sie bis zu einem bestimmten Alter bei Anderen auslösen. Dabei wird ausgeblendet, dass die „Antwort“ vom Kind – schon rein entwicklungspsychologisch gesehen – von Eltern und sozialer Umgebung gedeutet und „interpretiert“ werden muss. KeineR weiss, ob er/sie das auch richtig macht.

Ich muss vielleicht noch vorausschicken, dass ich Knabe war und Mann bin, wenn ich diesen Text schreibe. Ich beschränke mich auf mein Geschlecht und überlasse es den Frauen, sich über die Entwicklung von weiblichen Kindern zu äussern. Und genau hier liegt wieder so ein interessanter Punkt. Das oben genannte Aufklärungsbuch ist von einer Frau geschrieben worden – Mutter und übrigens sehr kompetent und verständnisvoll. Wie selbstverständlich doch Frauen und Mütter sich zuständig erklären – auch für die sexuelle Entwicklung von Knaben. Gut, über Jahrhunderte haben Männer die weibliche Sexualität übersehen, erklärt und dann auch definiert – zu Lasten der Frauen. Das ist eine historische Tatsache! Aber warum begehen Frauen den gleichen Fehler auch bei Männern?

Nun komme ich zu dem Wort „Pädophilie“ in Anführungszeichen. Der historische, ursprüngliche Begriff ist in den letzten Jahren seiner ursprünglichen Bedeutung völlig entkleidet worden und trägt jetzt die Last einer kriminellen und entfremdeten Bedeutung. Eigentlich ist es nur logisch, dass Eltern pädophil sind, denn sie zeugen Kinder und wollen sie lieben – meist weit über den Zeitpunkt hinaus, wo „die Hormone“ ihrer Liebesobjekte „verrückt spielen“. Und hier öffnet sich das Problem der bürgerlichen Familie! Ein anschauliches Beispiel dafür fand ich in dem Jugendbuch von Will Davis, Meine Sicht der Dinge:

(Will erzählt von einer Konfrontation mit seiner Mutter und beschreibt ihre Reaktion auf seine sexuelle Orientierung, die ihr offenbar wird): „Ich will meinen kleinen Jungen Jarold zurückhaben“, und das in einer so sentimentalen Stimme, dass ich mich nicht mehr beherrschen kann. Ich: „Komm drüber hinweg“, und dann sagt sie mir, ich wäre herzlos…

Es ist genau das passiert, was viele Mütter – auch Väter – auf die Palme bringt: Ihre Kinder „schütteln sich“ – schon lange – „einen von der Palme“, und dies weit früher, als – nach deren Sicht – es die Hormone erlauben.

Dabei wird zweifach gesündigt: Erstens bestimmen nämlich Eltern und Gesellschaft, wann diese Hormone verrückt zu spielen haben und zweitens glaubt man/frau auch noch, dies nach eigenem Gusto hinauszögern zu können. Und wenn es misslingt? Dann sind es nicht mehr „die Hormone, die verrückt spielen“, sondern dann sind es ganz bestimmt böse Männer, oder ältere Jugendliche gewesen, die „unschuldige Kinder“ SEXUALISIERT haben. Wir kommen dem Thema immer Näher!

Kleiner Exkurs in die Vergangenheit: Das sogenannte Schutzalter für homosexuelle Aktivität bei Frauen und Männern lag bis 1992 offiziell bei 20 Jahren. Kann sich keineR mehr vorstellen heute! Und im Gegensatz zum immer wieder hergebeteten Vorurteil, dass Frauen Verbündete von Homosexuellen seien und auch noch deren verständnisvolle Gesprächspartner, weiss ich aus vielen Erzählungen und Texten aus jener „Vorzeit“, dass genau die Mütter und Frauen „ihre Männer“ behüteten und beschützten – bis zum 20. Geburtstag – vor allem vor den Homosexuellen! (Sie waren damals die „Pädophilen“ von heute.)

Daran hat sich bis heute wohl auch nicht viel geändert. Aus jenen Reformdiskussionen – zwischen 1974 und 1990 ist mir nur eine Frau in Erinnerung geblieben, die öffentlich vom „Alter der sexuellen Selbstbestimmung“ gesprochen hat. Es war die erste Bundesrätin der FDP gewesen: Elisabeth Kopp. Allerdings ist dieses „Schutzalter“ heute beim 16. Geburtstag – für alle sexuelle Orientierungen gesetzt. Und allerdings wird heute schon wieder über ein Verbot der Prostitution zwischen 16 und 18, allenfalls bis 21 Jahre diskutiert. Und natürlich auch über die Kinderpornografie, denn die sexuelle Selbstdarstellung ist zurzeit noch ab 16 Jahren erlaubt! Dies betrifft übrigens AUCH die homosexuelle Orientierung!

Es ist im Uebrigen seltsam, dass das Alter der körperlichen sexuellen Reife stetig gesunken ist und weiter sinkt, aber weder die Sexualerziehung, noch die unvoreingenommene Wahrnehmung und der familiäre und öffentliche Diskurs/Diskussion, dabei mitzuhalten gedenkt. Darum ist es auch „logisch“, dass Kinder und Jugendliche – nicht durch ihre körperliche Entwicklung, sondern durch Medien und Aeltere (vor allem männliche) „sexualisiert“ werden. Denn schon eine „altersgerechte Sexualerziehung“ ist per se SEXUALISIEREND.

Wir sind schon fast nahe an unserem Weihnachtsthema – nur noch ein bisschen Geduld! Mir hat es sich eingeprägt, dass nur dort überall AUFGEKLAERT werden muss, wo einmal vernebelt wurde. Egal ob durch linke, rechte, oder religiöse Ideologie. In diesem Wort steckt nämlich viel gesellschaftlicher Sprengstoff, ohne dass dies wahrgenommen wird. Und nur dort wird „sexualisiert“, wo vorher ent-sexualisiert worden ist.

Nun feiern wir also jedes Jahr ein Kinderfest ohne uns darüber zu freuen, dass die menschliche Sexualität „ein sexuelles Wunder“ produziert – allerhöchstens ein „biologisches“. Die bürgerliche Familie und Gesellschaft hat es geschafft, die Sexualität in Bezug auf Kinder völlig auszublenden, ja zu verleugnen. Es wird „eine Familie gegründet“* und frau „wird schwanger“ – man „wird Vater“.

Sagt aber ein Mann, er hätte seinen Lebenspartner dabei, dann ist immer auch die Sexualität als Phantasie dabei: („Arschficker – Schwanzbläser“)

In der Homosexualität funktioniert das mit „sexlosen Wörtern“ noch (?) nicht so perfekt. (Um für gleichgeschlechtliche MAENNLICHE Paare die Adoption einzuführen, müsste die „eingetragene Partnerschaft – in welcher das Wort Sex nirgendwo vorkommt! – in realis bei den beteiligten Männern gesellschaftlich erst völlig ent-sexualisiert werden. Dann vielleicht haben auch Kinder in dieser Lebensform Platz. Wo käme Frau hin, wenn die beiden Schwulis sich vor den Kindern küssen, umarmen, ja gar an die Arschbacken greifen würden?

Übrigens ist es bemerkenswert, dass zwar die meisten Männer UND auch Frauen, die sexuelle Uebergriffe auf Kinder machen, ganz gewöhnliche Väter und Mütter sind, oder nahe Familien(!)-Verwandte, aber für den Begriff „der Sexualität mit/an Kindern“ dann „die Pädophilen“ herhalten müssen. Paradox ein Begriff, der usprünglich ja vor allem Eltern eingeschlossen hat. Eben: Kinderliebende…

Nebenbei bemerkt: Viele Formen der Gewalt gegenüber Kindern (besonders homosexuellen!) sind nicht nur „sexualisierte Gewalt“ (mit einem Penis), sondern vielmehr „sexuell MOTIVIERTE“ Gewalt auf vielfältige Weise. Die ge/ver-bannte Sexualität (im Körper) des Kindes wird mit Gewalt und Disziplinierung – „bekämpft“. Oft wird die Gewalt zur sexuellen Orientierung! (kürzlich hatte ich einen knapp 16jährigen im Chat, der von seinem relativ alten Vater regelmässig „arschversohlt“ wird, wobei der Junge dabei einen Ständer bekommt.) Im Grunde genommen wird mit der aktuellen gesellschaftspolitischen und einseitig männlich-sexistischen „Pädophilisierung“ (Anführungszeichen!) etwas weggeleugnet, was ohnehin immer offenbarer wird: Das Kind ist ein sexuelles Wesen von Geburt an. Sexualisiert kann es später nur werden, wenn es vorher ent-sexualisiert worden ist. Ich erinnere mich an Broschüren der deutschen „Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung“ über die Sexualentwicklung des Kindes. Diejenige über die Zeit von Geburt bis ca. Kindergarten blieb an Informationsabenden meistens liegen, wie man mir sagte…

Und nun sind wir endlich beim unserem Weihnachtsthema angelangt! Kinder werden am Nikolaustag erst diszipliniert und gar verängstigt. Am Abend der Bescherung aber findet die Pädophilie (ohne Anführungszeichen) in Form von materiellen Geschenken, beeindruckenden Sentimentalitäten und kitschigen Szenen statt. Schwule Kinder – falls diese Vorstellung für viele überhaupt möglich ist – merken sehr bald, wie sehr sie mit ihrer verheimlichten, totgeschwiegenen und „pädophilisierten“ Sexualität/schwulen sexuellen Orientierung von der entsexualisierten bürgerlichen Familie ausgegrenzt werden. Und viele Mütter schweigen das was sie sehen an Sexualität in der Familie, sowieso meistens TOT. Aber von den Kindern wird natürlich Dankbarkeit, Offenheit, Liebe und sonst noch vieles erwartet. Bezahlt wird an Weihnachten – oder auch mal nicht…

„Ich will mein kleines Christkind wieder-/immer haben!“ Bis in alle Ewigkeit – amen.

Peter Thommen60, Schwulenaktivist und Buchhändler, Basel

P.S. Falls jetzt jemand/jefrau am „Ausrasten“ ist – wieso ist ein gesellschaftlicher Diskurs über dies alles, wieder so verunmöglicht worden? Warum kann nicht wenigstens überlegt werden, wie mit der Sexualität von Kindern (die es wagen, sie nicht zu unterdrücken) vernünftig umzugehen ist? Ohne sie erst zu desexualisieren, um sie anschliessend der gesellschaftlich unberechenbaren – meist mit Fetischen verbundenen – „Sexualisierung“ auszusetzen?

Sexuelle Selbstbestimmung fängt in der Kindheit an, nicht erst wenn die (asexuellen) „Eltern“ das wollen. Ich onaniere übrigens seit meinem 5. Lebensjahr – und damals nicht immer allein, sondern mit anderen Knaben. Ich kenne also – auch ohne Kinderpornografie im Internet – keine „entsexualisierte“ offizielle Latenzzeit. Und meine damaligen Sexualpartner sind fast alle vorbildliche Familienväter geworden…

(* Hite) „Selbst die Verteidigung der Heterosexualität (als die „einzige“ natürliche Form von Sexualität), als die Basis der Familie, kann aufgrund historischer Tatsachen hinterfragt werden. Die frühesten „Familien“ waren keine „heterosexuellen“ Kleinfamilien, wie wir sie kennen, sondern schlossen Mutter, Schwestern, Brüder, Tanten Onkel usw. in einer losen Gruppe zusammen. Es gab keinen „Vater“, und die Beziehungen zwischen Mutter und Kind waren keineswegs so elementar, wie wir heute annehmen; Tatsache ist, dass Kinder, Mütter und Schwestern oftmals nicht wussten, wem welches Kind gehörte… Das frühe Indogermanisch verfügte über kein Wort für „Vater“ und jahrhundertelang war es nicht bekannt, dass Geschlechtsverkehr die Ursache für Schwangerschaft ist. Während dieser Jahrhunderte war die Grossfamilie eine überlebensfähige soziale Einrichtung…“ (Shere Hite: Das sexuelle Erleben des Mannes (2), 1978/1991, S. 290)

siehe auch meine anderen Texte zu Weihnachten!

Fund in den BaZ-Meldungen: „Das Jahr (2010) begann mit der damals 17-jährigen Berlinerin Helene Hegemann und ihrem altklugen No-Future-Pamphlet «Axolotl Roadkill», es endet jetzt mit dem 17-jährigen Australier Joshua Beattie und seinem Kurzfilm «To Claire; From Sonny». Und das ist gut so. Wie Hegemann hat Beattie einen Sensationserfolg gelandet, und erst noch einen internationalen, denn seinen Film gibt es (nur) auf Youtube zu sehen. 600 000 Zuschauer haben ihn schon angeklickt, gegen 3000 haben darunter geschrieben, dass sie in Tränen ausgebrochen seien, und das ist auch kein Wunder, denn Beattie erzählt da in sechs Minuten eine todtraurige Liebesgeschichte mit der ganzen ungebrochenen Sentimentalität eines Teenagers.“

So lieben wir doch „die Pädophilie“!  (Klarstellung: Gesellschaftlich anerkannt ist die in emotionalen Formen des körperlichen Begehrens versteckte „Pädophilie“, romantisiert, entkörperlicht und ohne Dialog und gegenseitige Verständigung. Das Ritual eben – sowohl zwischen Eltern und Kindern, als auch zwischen Kindern. Asexuelles Nachäffen erwachsenen Verhaltens, ohne die „bösen sexuellen“ Bedürfnisse überhaupt zur Kenntnis zu nehmen. (Nachtrag 30.3.12) PT

Über admin

*1950, Buchhändler, Schwulenaktivist, ARCADOS Archiv für schwule Studien
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