„schwule Prostitution“ ?

Das Buch „Männer kaufen“ von Oliver Demont zieht durch die bürgerliche Presse, die sich genüsslich oder moralisierend daran delektiert. Wobei tunlichst verschwiegen wird, was die Prostitution unter Männern – die mit „homosexuell“ bezeichnet werden muss – in der Gesellschaft des Heterrors für eine Funktion hat. Mit der Bezeichnung „schwule Prostitution“ wird nämlich so vieles ausgeklammert, was diese Form der Prostitution aber beinhaltet.

Susann Sitzler, die sich schon mit dem Buch „Motherfucker“, von Dawson befasst hat, versuchte, sich auch diesem Thema anzunähern (Basler Zeitung vom 18. November 2012). Ich wundere mich immer wieder, wie wagemutig Frauen sich mit der männlichen Homosexualität befassen – das gilt vor allem für Vorträge und „Selbstvertiefungs-Arbeiten“ an Schulen.

Es frauscht das Vorurteil, dass Frauen Homosexuellen gegenüber „toleranter“ seien, als die Männer. Wenn ich aber bedenke, dass viel mehr Homosexualität unter Männern praktiziert wird als unter Schwulen überhaupt, dann wundert mich das nicht mehr – mit den Männern. Mich wundert auch nicht, dass die Toleranz der Frauen da plötzlich aufhört, wo es um ihre Ehemänner oder Söhne geht…

Bemerkenswert ist die Tatsache, dass bürgerliche Männer gerne totschweigen, was sie hintenherum so treiben und dass bürgerliche Frauen auch gerne totschweigen, wenn sie Männer heiraten, die homosexuelle Bedürfnisse haben – verharmlosend als „Neigungen“ apostrophiert, oder Söhne besitzen (!) die den Männern nachschauen, egal ob Kind oder Jugendlicher.

Während in der Heterosexualität die Täter-Opferinnen-Symmetrie schnell klar „auszumachen“ ist, wird das „unter Tätern allein“ schon etwas schwieriger. Die schweizer Justiz hat das Problem 1942 „elegant zu lösen versucht“: Mit einem höheren Schutzalter bei der Homosexualität der Männer (bis 20 statt nur bis 16 wie bei den Heteros/as). Von Frauen als Täterinnen unter Frauen war keine Rede. Das war unvorstellbar. Die gleiche Lösung liegt auch jetzt wieder Frau Sommaruga vor: Für Prostitution soll das „Schutzalter“ generell wieder bis 18 Jahre gelten – und bestraft werden sollen nur Männer…  (Was damals wie heute gegen die Verfassung verstösst/verstossen würde!)

Ich erinnere mich gerade an Henriette Kuhrts Interview mit Roy F. Baumeister (Zitat): „Männer gehen mehr Risiken ein als Frauen“ (NZZaS, 18. November 2012, S. 77) und über das Weinen: „Tränen sind in einer engen Beziehung sehr hilfreich, aber in der Öffentlichkeit sind sie ein Problem. Politiker, die öffentlich weinen, beschädigen ihre Karriere.“

Kuhrt verschweigt aber geflissentlich, dass es viele Frauen gibt, die sich keine solchen Tränen-Männer wünschen! Erstens sind die Tränen für die Mutter vorbehalten und nicht auch gegenüber den Vätern erwünscht. Und zweitens muss es für die intime Beziehung mindestens eine andere Technik der Macht und Beeinflussung geben, als für die öffentliche Politik. Ob Frauen öffentlich auch weinen würden, stelle ich mal dahin. Jedenfalls wäre die Wirkung eine völlig andere als bei Männern…

Zu meiner Verärgerung besteht heute eine Tendenz, „politisch korrekt“ antibürgerliche und subversive Verhaltensweisen, oder sogar Sexualbedürfnisse „zurechtzurücken“ bis sie „passen“ – nach dem Motto: Wir sind doch alle nur Menschen – statt ehrlich bemüht Widersprüche offenzulegen wie das die Schwulenbewegung vor 40 Jahren noch überzeugend getan hat.

Leider dürfen wir weder von Henriette Kuhrt, noch von Susann Sitzler erwarten, dass sie einen Blick durch die rosa Brille werfen. Eher sind wir Männer angehalten, auch mal den Standpunkt der Frauen einzunehmen, egal ob wir schwul oder hetero, oder beides zusammen sind. Aber ich schwöre, es gibt eher eine „eheliche Prostitution“ als eine „schwule“…

Peter Thommen_62, Schwulenaktivist, Basel

P.S. siehe auch Claudius Babst: Sexualität im Leben… (in Medien), NZ 1983 – als Anregung zum Thema!

P.S. vom 26.11.2012: Der Passus über die 2. Runde Regierungsratswahlen in Basel wurde entfernt.

P.S. Zum Buch von Demont:  Ich habe heute darin gelesen, aber nichts neues erfahren, was nicht schon in vergangenen Jahren und auch aus anderen Teilen der Welt geschildert wurde. Neu sind die einfachere Reisemöglichkeit in andere Länder und die zentralen Kommunikations-möglichkeiten der neuen Elektronik.

Man kann das Buch kaufen wegen der Fotos von Walter Pfeiffer. Man kann das Buch kaufen wegen der grafischen Gestaltung. Wegen des textlichen Inhalts muss keineR dieses Buch kaufen…

Ich bin immer wieder beeindruckt, wie selbstverständlich die darin geschilderten Verhältnisse der jungen Männer akzeptiert werden, wenn es nicht um Sex als Erwerb geht. Sei es in einer Lehre, auf wechselnden Jobs, oder in wechselnden Familien- oder Beziehungsverhältnissen. Da schreit kein Huhn und kein Hahn! Erinnern möchte ich nur an die sogenannten „Verdingkinder“, für die man/frau sich aus heutiger Distanz ja problemlos entschuldigen kann. Andere mögen in Büchern von Jeremias Gotthelf weiterlesen…

Aber weibliche und männliche Medienleute, PolitikerInnen und GesetzeshüterInnen sind ausgezeichnet im Ausblenden der realen gesellschaftlichen Verhältnisse. Der Heterror diskriminiert die Homosexualität, produziert  „TäterInnen“ und „OpferInnen“, die je nach Ansicht oder Regie ihre Rollen wechseln können. Der gleiche Heterror beutet dazu noch Freier und Escorts/Stricher gemeinsam aus – also beide, wiederum in wechselnden Rollen. Mit Vorschriften und Kontrollen und Mitleid mal mit den Einen oder den Anderen…

Nur über die wirtschaftlichen Verhältnisse wird einfach geschwiegen. Da muss dann das Sexualstrafrecht herhalten und sich von der Politik ficken lassen. Was das Strafrecht wiederum unbenommen an die Betroffenen weitergibt. Wie es sich im hierarchischen und monetär bestimmenden Markt so richtig gehört. Der mediale Aufschrei macht betroffen, doch ausser Gesetzen ändert sich nie irgendetwas. Auch nicht die zunehmende fehlende Selbstbestimmung der Beteiligten.

Ich betrachte es als ein Menschenrecht, seinen Körper zu verkaufen, ob Kopf, Hände oder Schwanz. Auch ein „Schutzalter“ von 30 Jahren ändert nichts an den ökonomischen Gründen. Aber nur moralischer Schutz ist politisch durchsetzbar. Die ökonomischen Verhältnisse sind nicht zu ändern! So stiehlt sich bürgerlich/feministische Politik aus der politischen Verantwortung! (Zusatz 10.1.13)

Es gibt persische und türkische Sprichwörter, die besagen, wie vorteilhaft es ist, der Geliebte eines grossen Herrn zu sein. Eins, das in freier Übersetzung lautet:

„Es gibt persische und türkische Sprichwörter, die besagen, wie vorteilhaft es ist, der Geliebte
eines Grossen zu sein, eins, das in freier Übersetzung lautet: „Das meiste erreicht ein Mann mit seinem Gesäss, entweder indem er sich darauf setzt und arbeitet, oder indem er es einem grossen Herrn zur Verfügung stellt.“ (Hirschfeld, 1914)

Peter Thommen_62, und alt geworden ohne Stricher  5.12.2012

P.S. in eigener Sache: Seit längerer Zeit mache ich den Arbeits-Strich vor der Rente, wie so viele Andere auch. Also neben dem Laden eine „unselbständige Erwerbstätigkeit“ mit Billiglohn…

Verbot der „Kinderprostitution“ bis 18!

LanzParl13

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*1950, Buchhändler, Schwulenaktivist, ARCADOS Archiv für schwule Studien
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Eine Antwort zu „schwule Prostitution“ ?

  1. René Reinhard sagt:

    Delektieren? Delektieren? Oh, wunderbar, oh wunderbar. Und so salbungsvoll geschwollen.

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